Christian Fazekas
Pädagogische Hochschule Karlsruhe Wissenschaftliche Hausarbeit zum Thema: Die Pädagogik Rolf Robischons:
Analyse und ideengeschichtliche Einordnung Abgabetermin: 02.08.2006 Inhaltsverzeichnis 1. Prolegomena..........................................................................................................................4 1.1 Zur Quellenlage................................................................................................................4 1.2 Zur Sache.........................................................................................................................5 1.3 Zu Form und Methode.....................................................................................................6 2. Die pädagogische Theorie Rolf Robischons...........................................................................6 2.1 Anthropologische Grundlagen.........................................................................................7 2.1.1 Das Anlage-Umwelt-Problem und seine pädagogischen Implikationen.................7 2.1.2 Grundlagen des Lernens.........................................................................................10 2.1.2.1 Das Prinzip des Lerndranges..........................................................................10 2.1.2.2 Fehler als Lernfortschritt................................................................................11 2.1.2.3 Lernen als Orientierung..................................................................................14 2.1.2.4 Exkurs: Konstruktivismus als Erkenntnis- und Lerntheorie...........................15 2.1.2.5 Didaktik oder Mathetik: Das Problem der Etikettierung................................19 2.1.3 Kritik am Menschenbild der traditionellen Schule.................................................20 2.1.3.1 Kritik der Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes.......................................22 2.1.3.2 Kritik an Leistungsmessung und -bewertung.................................................23 2.1.4 Lernschwierigkeiten...............................................................................................26 2.1.4.1 Angeborene Lernschwierigkeiten...................................................................26 2.1.4.2 Aggressionen..................................................................................................27 2.1.4.3 Angst...............................................................................................................29 2.2 Politisch-soziale Begriffe der Pädagogik Rolf Robischons...........................................32 2.2.1 Freiheit....................................................................................................................33 2.2.1.1 Die Definition der Freiheit aus der Idee der Strukturdetermination ..............33 2.2.1.2 Rolf Robischons Definition der Freiheit ........................................................34 2.2.1.3 Begrenzungen des Freiraumes nach Potthoff 1995........................................36 2.2.2 Gehorsam und Macht.............................................................................................38 3. Pädagogische Ideengeschichte..............................................................................................40 3.1 Frühe Spuren .................................................................................................................40 3.2 Rousseau und die „Entdeckung der Kindheit“...............................................................41 3.3 Friedrich Fröbel..............................................................................................................42 3.4 Einschub: Lew Tolstoi...................................................................................................43 3.5 Maria Montessori...........................................................................................................44 3.6 Alexander Neill..............................................................................................................45 3.7 Célestin Freinet..............................................................................................................46 3.8 Neueste Einflüsse...........................................................................................................46 4. Der praktische Ablauf des Unterrichts nach Robischon.......................................................48 4.1 Die Stellung und die Aufgaben des Lehrers..................................................................48 4.1.1 Der Lehrer als Lernbegleiter..................................................................................49 4.1.2 Die pädagogische Realität......................................................................................50 4.1.2.1 Die Frage der Autorität...................................................................................50 4.1.2.2 Die Frage der Benotung..................................................................................52 4.2 Das Robischon-Material.................................................................................................53 4.2.1 „Lesen und Schreiben“...........................................................................................54 4.2.2 „Mathematik-Anfang“............................................................................................56 4.2.3 „Bärenstarke Grundschulgrammatik“....................................................................59 4.2.4 Geschichtenwerkstatt..............................................................................................62 4.3 Die verschiedenen Lernbereiche....................................................................................63 4.3.1 Das Schreiben und Lesen ......................................................................................63 4.3.2 Mathematik.............................................................................................................65 4.3.3 Heimat- und Sachunterricht....................................................................................67 4.3.4 Schulsport...............................................................................................................69 4.3.5 Kunstunterricht.......................................................................................................70 4.3.6 Musik......................................................................................................................71 4.4 Abläufe und Rituale ......................................................................................................71 4.5 Lernziele........................................................................................................................73 5. Kritik....................................................................................................................................74 5.1 Wissenschaftliche Defizite.............................................................................................74 5.2 Die soziale Grenze der Erziehung..................................................................................75 6. Zusammenfassung und Ausblick..........................................................................................76 7. Quellen.................................................................................................................................77 7.1 Bücher...........................................................................................................................77 7.1.1 Primärliteratur ROBISCHON................................................................................77 7.1.2 Sekundärliteratur....................................................................................................78 7.2 Hypertextdokumente......................................................................................................81 7.3 Sonstige.........................................................................................................................82 8. Erklärung..............................................................................................................................84 1. Prolegomena 1.1 Zur Quellenlage Absicht der vorliegenden Arbeit ist es, die Pädagogik Rolf Robischons zu untersuchen. Neben zahlreichen Materialvorlagen, sind es vor allem drei Bücher, in denen er seine pädagogischen Ideen ausbreitet, die für diese Aufgabe besonders in Frage kommen und deshalb selbstverständlich als Quellen vorrangig zu behandeln sind. Allerdings soll hier darauf hingewiesen sein, dass Rolf Robischon eine eigene Internetseite betreibt, die sich mit seiner Art zu unterrichten befasst und die zahlreiche Materialien, wie Praktikumsberichte von Student/innen oder Dokumentationen mit Fotostrecken von ganzen Schuljahren, Zeitungsberichte, sowie ergänzende Theorieteile und Schemata beinhaltet. Diese Materialien können dem Ziel der Arbeit nur zuträglich sein, da sie geeignet scheinen, ein vollständigeres Bild des Untersuchungsgegenstandes zu zeichnen. Deshalb sollen diese Quellen mit verarbeitet werden. Die Verweise, die sich auf die Internetseite beziehen, werden jeweils mit Datum angegeben. Am 26.04.2006 hielt Rolf Robischon an der Freien Aktiven Schule in Karlsruhe einen Vortrag über seine Arbeitsweise. Dieser ergänzt das Bild, welches sich durch die vorhandenen Publikationen ergibt, um einige aufschlussreiche Details. Schließlich wird in dieser Arbeit das Internet-Lexikon Wikipedia für Definitionen u.ä. eingesetzt, da es m.E. wissenschaftlichen Definitionsansprüchen genügt. Dazu sei Folgendes angemerkt: Am 14.12.2005 veröffentlichte das englischsprachige Wissenschaftsmagazin „Nature“ in seiner Online-Ausgabe die Ergebnisse einer sogenannten „Peer-Studie“, bei der Wissenschaftler aus den entsprechenden Fachgebieten Wikipedia-Artikel und solche der Encyclopaedia Britannica, ohne Kennzeichnung der Herkunft, auf Fehler untersuchten. Danach weist die Wikipedia nur geringfügig (4) mehr Fehler pro Artikel auf, als die von vielen als Standardnachschlagewerk genutzte Encyclopaedia Britannica (3). Weiter kritisierten die Wissenschaftler aber den schlechteren Aufbau und die weniger gute Sprache mancher Wikpedia-Artikel. Wo dies in einem für die Arbeit relevanten Artikel der Fall war, wurde auf den Einsatz verzichtet. 1.2 Zur Sache Gegenstand der Untersuchung ist die Pädagogik Rolf Robischons, der von 1973 bis 2004 die Johannes-Grundschule in Bad-Krozingen-Hausen leitete. Aus dieser Zeit ist der Abschnitt ab etwa 1988 bis zu seiner Pension 2004 wesentlich, da Herr Robischon, nach eigener Aussage, ab diesem Zeitpunkt seinen Unterricht grundlegend anders gestaltete, als er es in seiner Ausbildung zum Lehrer gelernt hatte. 1992 erscheint seine erste Veröffentlichung als Rolf Robischon, die sich mit seiner Pädagogik befasst (zuvor hatte er unter dem Pseudonym Ernst Böse schon als Karikaturist und Cartoonist für Lehrergewerkschaften publiziert). In „Das Kind und die Schrift“, einer knapp siebzigseitigen Broschüre, legt er, neben seinen Ansichten zum Schrifterwerb von Kindern, auch seine grundlegenden Überlegungen zum Lernen dar. Zwei Jahre später, 1994, erscheint die erste Auflage von „Lernen ist wie atmen“ im AOLVerlag4. Darin entwickelt er seine Überzeugungen und vor allem seine anthropologischen Ansichten weiter, welche die Grundlage für seinen anderen Umgang mit dem Lernen sind. Weiterhin enthält das Buch auch eine Sammlung von Aufsätzen, die in verschiedenen Fachzeitschriften und Lehrerzeitungen erschienen. Insgesamt ist dieses Buch wahrscheinlich das theoretischste seiner drei zum Thema Schule und Pädagogik , wobei es sich aber nicht um ein abstraktes Werk handelt. Es orientiert sich inhaltlich an der Praxis und ist mit zahlreichen Anwendungsbeispielen versehen. Im gleichen Jahr schließt Rolf Robischon auch eine weitere Ausbildung zum Diplompädagogen an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg ab. Seine Diplomarbeit trägt den Titel „Die Entstehung einer subjektiven Epistemologie bei Lernenden“. Jedoch ist die Arbeit nach wie vor unveröffentlicht und auch über die Bibliothek der PH Freiburg nicht zugänglich. Sie liegt deshalb dieser Arbeit nicht als Quelle zugrunde. 2002 schließlich erschien Robischons bisher umfangreichstes Buch über seine Arbeitsmethode, unter dem Titel „Lernen ist wie Netze spinnen“. Es ist als Arbeitsbuch angelegt und enthält viele praktische Bezüge ebenso wie Materialvorlagen. Die neue Arbeitsweise wird darin kritisch von außen reflektiert, indem immer wieder Fragen aufgegriffen werden, die eine, am Buch mitarbeitende, Lehrerin am Ende jedes Kapitels stellt. Ziel und Aufgabe dieser Arbeit ist im ersten Teil, das pädagogische Werk Rolf Robischons anhand der vorliegenden Quellen zu analysieren, Kontinuitäten und Brüche – soweit vorhanden – zwischen den einzelnen Werken aufzuzeigen, sowie die Herkunft und Geschichte der Ideen seiner Theorie zu beleuchten. Im zweiten Teil soll auf den praktischen Aspekt seiner Arbeit eingegangen werden. Dabei wird festzustellen sein, ob die Beschreibung seiner praktischen Arbeit sich im Hinblick auf die Theorie als konsistent erweist. 1.3 Zu Form und Methode Die Arbeit orientiert sich in ihrer äußeren Form an der Dissertationsschrift „Klassischer Anarchismus und Erziehung“ von Markus Heinlein, da diese sowohl in der Art ihrer Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Untersuchung, als auch in der Darstellung überzeugt. Bei jener sind besonders die Abkürzungen der Primärliteratur in den Fußnoten Heinleins Darstellungsweise geschuldet (die möglicherweise eine geläufige sein mag), ebenso wie die Form des Inhaltsverzeichnisses und der Literaturangaben. Methodisch ist es sein Vorgehen bei der Untersuchung der Pädagogiken W. Godwins, M. Bakunins und P. Kropotkins, das einen Bezugspunkt für diese Arbeit darstellt. Zu beachten ist jedoch, dass es sich bei Heinleins Arbeit um eine Aufarbeitung historischer Texte und Daten handelt und sie auf Grund dieser eigenen Thematik und Untersuchungsmethode inhaltlich die vorliegende Arbeit nicht tangiert. 2. Die pädagogische Theorie Rolf Robischons Ausgangspunkt der Pädagogik Rolf Robischons ist ein Menschenbild, welches entscheidend von dem der Staatsschule abweicht und zu weitreichenden Veränderungen im Umgang mit dem Lernen und den Lernenden führt, die im nun folgenden Kapitel dargestellt werden. Anschließend wird auf dieser Grundlage Robischons Verhältnis zu Schule und Unterricht, wie man sie vielerorts antrifft und seine Kritik an diesen betrachtet. Dabei ist anzumerken, dass hierfür die Begriffe der „traditionellen Schule“ und des „traditionellen Unterrichts“ verwendet werden. Diese Entscheidung begründet sich darauf, weil Rolf Robischon sie einerseits selbst für den lehrerzentrierten, fächerstrukturierten Klassenstufenunterricht, der häufig an staatlichen Schulen praktiziert wird, verwendet und andererseits, weil das Attribut „traditionell“ an sich keine Wertung impliziert, sondern einfach nur das Überlieferte, die Gepflogenheiten bezeichnet. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels soll sich schließlich mit Problemen des Lernens befassen, die aus bestimmten Wechselwirkungen des Menschen mit seiner Umwelt entstehen. 2.1 Anthropologische Grundlagen Das Kapitel „Anthropologische Grundlagen“ fasst all das zusammen, was das Menschenbild Rolf Robischons und die sich daraus ergebenden Konsequenzen anbelangt. Da sich aus diesem Menschenbild die meisten Schlüsse und Kritikpunkte am staatlichen Schulwesen entwickeln lassen, bildet es den Hauptteil der theoretischen Betrachtung. 2.1.1 Das Anlage-Umwelt-Problem und seine pädagogischen Implikationen Die Frage nach genetischen und umweltbedingten Konstitutionsfaktoren und dem Grad ihrer Einflussnahme auf den werdenden Menschen, ist für die verschiedenen Pädagogiken von entscheidender Wichtigkeit. Geht man von einer Erziehungsphilosophie der „tabula rasa“ aus, so wie es die Aufklärungspädagogen propagierten, so muss man alle Kinder auf eine bestimmte Art „grundlegend“ bilden, um sie Lebensreife erreichen zu lassen. Legt man aber seinen Überlegungen die Idee einer individuellen Menschwerdung zu Grunde, die durch das Subjekt selbst bestimmt ist, so ergeben sich daraus völlig andere Anforderungen an die Pädagogik. In „Lernen ist wie Atmen“ entscheidet Rolf Robischon die Frage deutlich zu Gunsten der letzteren Position wenn er schreibt: „Von seinem ersten Herzschlag an hat ein Mensch seine eigene Identität. Niemandem wird es gelingen, ihn zu einem anderen Menschen zu machen. Allenfalls kann man seine Entwicklung beeinträchtigen oder stören.“ Seine anderen Werke enthalten diesbezügliche Aussagen weniger explizit, dafür finden sich aber Implikationen entweder als Kritik des gleichförmigen Lernens, oder wenn er wie in „Das Kind und die Schrift“ Lernen als Überlebensmechanismus charakterisiert. Die „tabula rasa“ Konzeption weist er der traditionellen Schule zu, da diese annehme, „dass kleine Menschen unvollständig, hilflos, leer wie ein weißes Blatt Papier seien“ und sie deshalb beabsichtige, „sie zu ergänzen durch Füllmaterial, ihnen zu helfen durch Halt, Führung, Anleitung und auf das weiße Blatt ein Bild aufzutragen nach altem Plan.“ Nun weisen aber Psychologen wie Gerd Mietzel in seinem Buch „Psychologie in Unterricht und Erziehung“ auch auf die Gefahren hin, die sich aus einer Unterschätzung der Umwelteinflüsse, bzw. einer Überschätzung der genetischen Einflüsse ergeben können. Mietzel erwähnt z.B. die Gefahr, „daß die Einschätzung eines Schülers als angeborenermaßen wenig intelligent oder als mathematisch unbegabt, zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird.“ Dieser Sachverhalt stellt sich bei Rolf Robischon etwas anders dar, da er die Entstehung solcher selbsterfüllender Prophezeiungen der Kontrolle und Bewertung durch Außenstehende zuschreibt. Er selbst kommentiert dieses Problem mit dem Verweis auf die Eigentätigkeit im Lernprozess und sein Vertrauen in die Selbstverwirklichung der Kinder: „Menschen kann man nicht normen, nicht beeinflussen. Man kann ihnen nicht eine fremde Struktur aufzwingen. Menschen finden ihre eigenen Strukturen, Verhaltensweisen, ihre Orientierung selber, wenn man sie nur lässt.“ Eine solche Aussage findet sich schon bei dem chilenischen Erkenntnisbiologen Humberto Maturana, auf den Robischon sich dann folgerichtig in diesem Zusammenhang beruft. Maturana gilt als Vertreter des radikalen Konstruktivismus, auch wenn er selbst sich vom Konstruktivismus distanziert. Er findet in einem gesonderten Kapitel über die konstruktivistische Lerntheorie noch einmal Eingang. An dieser Stelle genügt der Einwurf seines Konzeptes der Autopoiese, um die Affinität der Ideen Robischons zu denen Maturanas aufzuzeigen. Der Gedanke der Autopoiese entstand, um lebendige Systeme zu klassifizieren und von nichtlebendigen zu unterscheiden. Lebendige Systeme werden von Maturana als selbstorganisiert und strukturell geschlossen, sowie strukturdeterminiert beschrieben, das heisst, dass die Stuktur des Systems bestimmt, wie es auf eine bestimmte Einwirkung von außen reagiert. Leben zeichnet sich also durch Autopoiese aus. Wie aufgezeigt wurde, sieht auch Rolf Robischon das Kind als ein Individuum mit angeborenen Strukturen, welche sich nicht abändern, sondern lediglich beeinträchtigen oder stören lassen, weshalb man hier von einer Entsprechung des auto-poietischen Konzepts sprechen kann. Der Lehr- und Lernprozeß stellt sich somit für Robischon als Entwicklung und Entfaltung dieser angeborenen Strukturen dar, der Lehrer wird zum Lernbegleiter, bzw. das Milieu zum Lehrer, bzw. Lerngegenstand. Zuletzt sei hier noch ein Einwand des Schweizer Sonderschullehrers Jürg Jegge aus seinem Buch „Dummheit ist lernbar“ aufgegriffen, in dem er die Behauptung aufstellt, dass sich die Frage nach dem Einflussverhältnis von Umwelt und Vererbung unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen meist gar nicht stelle, denn „Lange bevor ein Kind an seiner genetischen Begabungsschranke anzustossen Gefahr läuft, werden andere Beschränkungen wirksam, die seine „Ich-Werdung“ beeinträchtigen.“ Diese Beschränkungen lassen sich nach Jegge in zwei Gebiete gliedern, erstens sozio-kulturelle und zweitens psychische. Für die Schule ergibt sich daraus für ihn die Forderung, aus schlechten Schulleistungen dürfe „niemals auf eine schwache Begabung geschlossen werden. Ebensowenig schlüssig ist das Ergebnis irgend eines Intelligenztests.“ Hier muss wieder auf Rolf Robischons Annahme verwiesen werden, dass Kinder, die selbständig lernen dürfen, ihre Strukturen verwirklichen können. In der Konsequenz gäbe es keine Beschränkung der Kinder durch schlechte Schulleistungen, da ihre Lernleistungen bereits das ihnen in der Schule Mögliche (unter Nichtbeachtung sonstiger gesellschaftlicher Faktoren) darstellen würden. Im Einklang mit der Forderung Jegges schreibt er schließlich in „Lernen ist wie Atmen“: „Gottseidank wird von Menschen noch nicht der Intelligenzquotient oder die Hochsprungleistung zu seiner Bewertung herangezogen.“ 2.1.2 Grundlagen des Lernens Die Pädagogik Rolf Robischons ist konsequent von der Frage nach dem Lernen des Kindes aufgebaut, weshalb es hier zuallererst notwendig erscheint, zu klären, wie er dieses sieht und ob sich die einzelnen Teilaspekte zu einem systematischen Ganzen fügen. Vorab sollen einige grundsätzliche Annahmen und Begriffe geklärt werden, um dann anschließend die geschichtliche Entwicklung speziell dieser Annahmen zu skizzieren. Um das Kapitel abzurunden, wird ein letzter Abschnitt die Frage der Kategorisierung durch die Zuteilung eines Oberbegriffes thematisieren. 2.1.2.1 Das Prinzip des Lerndranges Dass Kinder ihre eigenen Strukturen verwirklichen können, setzt voraus, dass sie dies auch tun und tun wollen. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist also, ob Kinder den Drang zur Verwirklichung ihrer Strukturen verspüren, oder ob sie dazu angehalten werden müssen. Rolf Robischon beantwortet diese Frage theoretisch bereits durch den Titel seines zweiten Buches, „Lernen ist wie Atmen“, indem er das Lernen mit einem natürlichen Prozeß gleichsetzt. Diese Analogie führt er im Buch fort, wo es heißt: „Man kann es beschleunigen (...) und man kann es behindern, aber nicht abstellen ohne tödliche Folgen.“ Kinder haben seiner Meinung nach also ein natürliches, „dringendes Lernbedürfnis.“ Dieser Gedanke wird später bei der Betrachtung der pädagogischen Ideengeschichte als gemeinsamer Nenner historischer Konzeptionen wieder Eingang finden, z.B. bei Fröbel als „angeborener Tätigkeits- oder Bildungstrieb“. Rolf Robischon geht aber noch weiter, indem er das Lernen sogar als einen Überlebensmechanismus ausweist. Ausgangspunkt einer solchen Überlegung sei die Hilflosigkeit eines Neugeborenen, aus der die Lernlust resultiere, wie Hans Herbert Deißler schreibt. Wiederum ergibt sich hier eine Paralelle zu biologischen Erkenntnistheorien, wie sie Maturana/Varela oder Konrad Lorenz vertreten (wobei letzterer der evolutionären Erkenntnistheorie zuzuordnen ist, die sich aber nur in für diese Arbeit unwesentlichen Aspekten von der radikal-konstruktivistischen unterscheidet). Maturana und Varela beschreiben ein autopoietisches System solange als lebensfähig, wie es in der Lage ist seine Anpassung an die Umwelt zu erhalten. Lernen ist deshalb bei ihnen die Fähigkeit, sich an die Umwelt anzupassen und damit wiederum zu überleben. Konrad Lorenz kennzeichnet Anpassung ebenfalls als Wissenserwerb und fügt den Satz an: „Das Genom lernt nur aus seinen Erfolgen, der forschende Mensch aber auch aus seinen Irrtümern". Damit schlägt er die Brücke zu einem weiteren Axiom der Pädagogik Rolf Robischons, der Annahme, Menschen lernten aus ihren Fehlern. 2.1.2.2 Fehler als Lernfortschritt Für Rolf Robischon ist ein Irrtum Teil des Lernprozesses, weswegen er Fehler auch nicht als Versagen, sondern als Erfahrung wertet. Dieser Gedankengang soll hier zuerst einmal exemplarisch am Schreibanfang, wie er ihn in „Das Kind und die Schrift“ dokumentiert, dargelegt werden. Auf eine Beschreibung der Methode wird verzichtet, da diese später noch Gegenstand sein wird, wo sich die Arbeit mit der pädagogischen Praxis auseinandersetzt. Er schreibt, dass er beobachte, wie die Kinder nach einiger Zeit anfangen, eigene Worte zu „erfinden“ (d.h., sie entdecken das Schriftbild vorhandener Wörter neu, bzw. erfinden es anders), die sich zumeist an der Lautschrift orientieren. Weil keine Einführung der Buchstaben vorangegangen ist, wertet er dies als Beweis dafür, „daß die Kinder die Buchstaben selber und miteinander finden und damit etwas anfangen können. Die falsch geschriebenen Wörter sind keine Fehler, sondern Beweis für wichtige Fortschritte.“ Die Kinder lernten die richtige Schreibweise, so schreibt er weiter, sobald sie erführen, „daß normgerechte Schrift leichter gelesen und schneller verstanden wird“ und würden sich dann „ganz selbstverständlich um diese Norm“ bemühen. Um nun zu verdeutlichen, weshalb es in der Pädagogik Rolf Robischons keine Fehler gibt, muss die Lexikondefinition von Fehler herangezogen werden. Laut dieser ist ein Fehler eine „Abweichung von einem optimalen oder normierten Zustand oder Verfahren“. Während der Begriff „Norm“ schon darauf verweist, dass es sich lediglich um eine subjektive Vereinbarung handelt, die stets mehr oder weniger sinnvoll sein kann, legt das Adjektiv „optimal“ die Ansicht nahe, es gäbe so etwas wie eine erkennbare, objektive Wahrheit. Im Kapitel 2.1.3.1 wird aber gezeigt, dass es bei Rolf Robischon keine Gewissheit in diesem Zusammenhang gibt. „Wie steht es mit den Wahrheiten, dass Licht geradlinig sei, Zeit ein gleichmäßiger Ablauf?“ fragt er in „Lernen ist wie Atmen“ und unterstreicht die Relativität und Vorläufigkeit allen Wissens. Ein Fehler ist demzufolge immer eine Abweichung von einer vorläufigen oder künstlichen Wahrheit und als solche immer subjektiv, nie objektiv. Die Schreibweisen der Kinder im obigen Beispiel sind somit nicht objektiv falsch, sondern entsprechen nur nicht der momentan gültigen Norm. Fehler werden zum Lernfortschritt, indem der Lernende erkennt, dass seine Lösung, dem von ihm verfolgten Zweck, nicht mehr in ausreichender Weise dienlich ist und sich deshalb um eine passendere Lösung bemüht. So schreibt Robischon in „Lernen ist wie Atmen“: „Wenn eine Wahrheit sich als Irrtum erweist, ist auch das eine Erkenntnis, die uns weiterführt und unsere Orientierung sichert.“ Diese Konzeption findet sich im radikalen Konstruktivismus im Begriff der Viabilität wieder. Eine Idee wird dabei solange als viabel, bzw. gangbar beschrieben, bis sie sich als untauglich erweist. Dazu mag man auch Poppers Falsifikationsprinzip vergleichen, welches jedoch von einer Annäherung an eine objektive Wahrheit durch Verbesserung der Theorien über die Dinge ausgeht. Hier wird jedoch auf eine Darstellung und Gegenüberstellung dieser Theorie verzichtet, da sie die Zielsetzung der Arbeit überschreiten würde. Es soll mit diesem Einwurf lediglich die Affinität Robischons zu den Ideen Poppers dokumentiert werden. Wissenschaftlicher Hintergrund und Geschichte des „Versuch- und Irrtum-Lernens“ Wissenschaftlich wurde das „Versuchs- und Irrtums-Lernen“ bereits von Edward Lee Thorndike (1874-1949) postuliert. In seiner Versuchsanordnung wurden Katzen, jeweils einzeln, in sogenannte Problem-Käfige gesperrt, in dem sich ein Mechanismus befand, der eine Tür öffnete, die wiederum den Weg zu einem zweiten Käfig mit Futter freigab. Die Katzen (und in späteren Versuchen z.B. von Ruger mit Puzzle-Spielen auch Menschen) zeigten keine Hinweise darauf, dass sie in sinnvoller Weise Hypothesen prüften, sondern begingen selbst gleiche Fehler mehrmals. Erst nach vielen Versuchen verbesserten sich die Leistungen der Probanden allmählich. Im Gegensatz dazu, konnte der GestaltpsychologeWolfgang Köhler (1887-1967) 1917 bei Schimpansen ein anderes Verhalten beobachten: Außerhalb des Käfigs befand sich eine Banane, innerhalb zwei Stöcke, die zusammengesteckt werden mussten, um die Frucht zu erreichen. Die Affen bearbeiteten die ihnen gestellte Aufgabe durch das Überprüfen und falsifizieren ihrer Hypothesen (Arm ausstrecken, ein Stock...), bis sie zu der Lösung gelangten. Allerdings – und das war der wichtige Unterschied zwischen beiden Experimenten – ermöglichte Thorndikes Versuchsanordnung von vornherein keine Einsicht, denn der Öffnungsmechanismus der Tür war den Katzen verborgen geblieben. Leider hatte auch Köhler nicht fehlerfrei gearbeitet und so ergab eine Überprüfung seiner Ergebnisse auch längere Lösungszeiten bei der Kontrollgruppe. „Köhlers Affen zeigten wahrscheinlich deshalb kein- Versuchs- und Irrtums- Verhalten, weil sie sich bereits auf einem vergleichsweise hohen Lernniveau befanden oder – anders ausgedrückt – weil sie über relevante Lernvoraussetzungen (also Regelkenntnisse) verfügten.“ Man fand bei der Überprüfung von Köhlers Ergebnissen auch heraus, dass jene Affen, die Gelegenheit bekamen, drei Tage vor dem Versuch mit Stöcken zu spielen, danach in der Lage waren, das Problem zu lösen. Die Erkenntnis aus diesen Versuchen war, dass das Lernen nach Versuch und Irrtum dem Lernen durch Einsicht vorausgeht. Je besser diese Lernvoraussetzung gefestigt ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der Bewältigung einer Problemsituation. Auch eine Transferleistung wird wahrscheinlicher, wenn der Lernende ausreichend Gelegenheit hat, relevante Begriffe und Regeln in den verschiedenartigsten Situationen anzuwenden. Trotz der Unterstützung, die die Methode Robischon hier erfährt, muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den Versuchen um solche handelt, die in behaviouristischer Tradition stehen und deshalb auch gleichzeitig eine Spannung zwischen dem Postulat der Strukturdetermination und dem des Reiz-Reaktions-Schemas zu entstehen scheint. Dieser Feststellung ist jedoch zweierlei hinzuzufügen: Erstens schließt Rolf Robischon es nicht aus, dass Menschen auch durch positive und negative Verstärkung lernen können, er bedauert es lediglich. So merkt er zum Konditionieren bei Ratten an, „Man nahm einfach an, Menschen könnten genauso reagieren. Sie können es leider oft wirklich.“ Zweitens muss man beachten, dass die Tiere im oben beschriebenen Versuch Gelegenheit hatten, selbst mit den Gegenständen zu spielen, die sie später zur Lösung verwendeten, anstatt von einem Lehrer im Umgang mit ihnen unterrichtet zu werden. So ergibt sich eine Interpretationsmöglichkeit im Sinne des Konstruktivismus, da angenommen werden kann, dass auch diese Tiere ihr Wissen individuell konstruiert haben. 2.1.2.3 Lernen als Orientierung In Zitaten aus Rolf Robischons Büchern wurde der Begriff der Orientierung bereits eingebracht, allerdings ohne auf dessen Bedeutung und Stellenwert einzugehen, was in diesem Kapitel nachgeholt werden soll. Zuersteinmal ist zu beweisen, dass, wie die Überschrift des Kapitels impliziert, Lernen und Orientierung im Bezug auf Rolf Robischons Pädagogik synonym gebraucht werden können. Dazu mag ein Satz aus „Das Kind und die Schrift“ dienen, in dem es heißt: „Das Lernbedürfnis ist Orientierungsbedürfnis.“ Diese Definition ist aber an sich noch wenig aussagekräftig und so stellt sich die Frage nach einer Definition beider Begriffe. Diese nimmt Rolf Robischon sowohl positiv als auch negativ vor, wenn er schreibt: „Lernen ist nicht das Sammeln von Informationen, die wieder abgerufen werden können, sondern Orientierung (Erkennen der eigenen Person, der Umgebung, der Beziehungen zur Umgebung und zu anderen Menschen)“ Diese Orientierung findet für ihn „durch Kommunikation, nicht durch Auskünfte anderer“ statt. Formen der Kommunikation sind für ihn alle Arten der Auseinandersetzung des Kindes mit der Umwelt, seinem Milieu, den Menschen, den Tieren und den Dingen. So zählt er als Kommunikationsformen das Schreiben, Lesen, Sprechen, Berühren, Anschauen und Aufeinanderzugehen43, aber auch den Streit auf44. Damit Kinder also lernen können, darf man sie als Lehrer nicht an ihren Kommunikationsformen stören, sondern muss sie im Gegenteil darin bestärken. Denn, damit ein Mensch überhaupt Wissen herstellen, oder sich Verhaltensweisen und Kommunikationsformen aneignen könne, müsse er die Umgebung wahrnehmen. Dabei meint Wahrnehmung hier nicht das „Eindringen von Sinnesreizen“, sondern „das Herstellen von Verbindungen zu Wahrgenommenem.“45 Diese Darstellung entstammt dem Buch „Lernen ist wie Netze spinnen“ und verdeutlicht die Metaphorik des Titels. Somit umfasst die Kommunikation wiederum alle Arten der Orientierung und man gelangt hier zu einer Einheit von Lernen, Orientierung und Kommunikation. Zusammenfassend bedeutet dies, dass wer mit seiner Umwelt kommuniziert, nicht umhin kommt, dabei ständig zu lernen. 2.1.2.4 Exkurs: Konstruktivismus als Erkenntnis- und Lerntheorie Um nun die in den bisherigen Kapiteln genannten Aspekte zu einer systematischen Darstellung zusammenzuführen, soll ein Exkurs das Feld der radikal-konstruktivistischen Lerntheorie beleuchten sowie aufzeigen, weshalb Rolf Robischons Ansatz dieser zugeordnet wird. Die Geschichte der zu diskutierenden Lerntheorie ist untrennbar mit der philosophischen Geschichte der Epistemologie verbunden, da beide ausgehend von der Frage der Erkenntnis des Lernenden, bzw. des Menschen und wie er sein Wissen aufbaut, entwickelt sind. Da der Konstruktivismus mit der Frage „wie wir erkennen“ die Grundlage für eine konstruktivistische Lerntheorie darstellt, wird seine Geschichte hier zuerst umrissen, um dann anschließend die Konsequenzen, die sich aus diesen Prämissen für eine Lerntheorie ergeben, zu beschreiben. Bereits in vorsokratischer Zeit war bekannt, dass das Aufnehmen von Informationen über die Sinne stattfindet. Xenophanes, der im fünften vorchristlichen Jahrhundert lebte, äußerte bereits die Vermutung, die Wahrheit sei deshalb als solche nicht erkennbar. Die pyrrhonische Schule mit ihrem Gründer Pyrrhon von Elis (360 AC – 270 AC) sowie Sextus Empiricus (ca. 200 AD) arbeiteten diese Idee des „Scheins“ dann vor allem im Bereich der Wahrnehmung aus. Von Sextus Empiricus ist das bekannte Beispiel des Apfels erhalten geblieben. Dieser mag uns zwar glatt, duftend, süß und gelb vorkommen – trotzdem ist weder sicher, dass er diese Eigenschaften tatsächlich besitzt, noch, ob er nicht auch andere hat, die unseren Sinnen entgehen48. Dieses erkenntnistheoretische Problem der prinzipiellen Unerkennbarkeit der Welt, beschäftigt Interessierte bis zum heutigen Tag und bildet den Ansatzpunkt für jegliche konstruktivistische Überlegung. Im 9. Jahrhundert nach Christus äußerte der irische Mystiker John Scottus Eruigena dann die Vermutung, der Mensch bringe die Welt aus sich hervor, ebenso, wie der Künstler sein Kunstwerk. Auch Giambattista Vico (1668-1744) beantwortete für sich schon die Frage, die Immanuel Kant erst 1783 in seinen „Prolegomena“ aufwerfen würde. Weshalb, so überlegte Vico bereits 1710, erleben wir, obwohl wir nichts über die wahre Beschaffenheit der Dinge erfahren können, trotzdem solch eine stabile und verlässliche Welt, mit dauerhaften Dingen und beschreibbaren Regeln von Ursache und Wirkung. Die Lösung die er anbietet, lautet verkürzt: die Wahrheit des Menschen ist das, was er erkennt, indem er es handelnd aufbaut und durch sein Handeln formt. Er konstruiert aktiv sein Wissen von der Welt, er baut die Welt aus den Komponenten, die er erkennt, zusammen, kann aber nur erkennen, was er selber macht, „denn nur der Erbauer selbst kann von den Dingen, die er zusammenstellt (componit), wissen, was die Bestandteile sind und wie sie miteinander verbunden wurden.“ Wie aber Kant dann gegen Ende des 18. Jahrhunderts bemerkt, kann uns auch dieses konstruierte Wissen von der Welt keinen Aufschluss über ihre wahre Beschaffenheit liefern. Im Gegenteil: In der „Kritik der reinen Vernunft“ gelangt er zu dem Schluss, dass nicht die Welt uns die Naturgesetze diktiert, sondern wir sie ihr selbst auferlegen. Er kompliziert auch das Problem Sextus Empiricus noch zusätzlich, indem er dessen Gedankengang konsequent zu Ende denkt und in Frage stellt, ob überhaupt etwas (ein Apfel) existiert52. Die Frage, ob die Wirklichkeit, die der Mensch sich aufbaut, eine äußere Realität widerspiegelt oder nicht, ist auch heute weiterhin eine unbeantwortbare. Am Ende des 19. Jahrhunderts spaltet sich die dargestellte Erkenntnistheorie in zwei Lager. Auf der einen Seite gelangt Georg Simmel 1895 zu der Überzeugung, dass in evolutionärem Sinne, diese Ideen in uns weiterhin Bestand haben, welche sich durch erfolgreiches Handeln bewahrheiten, also die der realen Welt entsprechen. Aus dieser Vorstellung entwickelte sich später die „Evolutionäre Erkenntnistheorie“. Der radikale Konstruktivismus bestreitet aber, dass, wie Konrad Lorenz es formuliert, „Anpassung an eine Gegebenheit der Umwelt (...) gleichbedeutend mit dem Erwerb von Information über diese Gegebenheit (ist).“ Bestenfalls ließe sich bei einem unangepassten Verhalten herausfinden, wie die Welt in diesem Moment nicht ist. Für den Gegenstand der Arbeit ist der Streit über die Erkennbarkeit oder auch nur die Annäherung der inneren Konstruktion an die Wirklichkeit irrelevant. Wichtig für die Pädagogik Rolf Robischons bleibt deren gemeinsame Basis, dass die Wirklichkeit im Menschen konstruiert wird, ob diese der objektiven Realität nun entspricht oder nicht. Zu Beginn des 20sten Jahrhunderts führten die Behaviouristen Pawlow, Skinner und andere ihre bekannten Experimente durch und es schien, als ob sie entdeckt hätten, dass das Lernen (und damit auch das Erkennen) ein mechanischer Prozeß sei, der nach den Regeln des Konditionierens ablaufe. Vor allem den Versuchen und Arbeiten von Jean Piaget (1896-1980) ist es geschuldet, dass die Wissenschaft zu der Erkenntnis gelangte, dass der Lernende beim Lernen eine sehr aktive Rolle spielt und dass das Reiz-Reaktions-Lernen nur ungenügend auf die selbständigen Prozesse innerhalb des Menschen eingeht. Er entwickelte ebenfalls die Idee des Wissens als Anpassung weiter und prägte die Begriffe der Assimilation und Akkomodation als Kategorien der Anpassung. Von Organisation spricht Piaget als dem Ergebnis einer notwendigen Wechselwirkung zwischen bewusster Intelligenz und Umwelt. In diesem Zusammenhang muss hier auf Rolf Robischons Idee der Selbstorganisation und der Orientierung verwiesen werden, die ihre offensichtlichen Entsprechungen in Piagets Konzept haben. In der Folge radikalisierte Ernst von Glasersfeld Piagets Ergebnisse, indem er auf einen Bezug zu einer objektiven Realität verzichtete. Erkenntnis betrifft laut Glasersfeld „nicht mehr eine „objektive“, ontologische Wirklichkeit (...) sondern ausschließlich die Ordnung und Organisation von Erfahrungen in der Welt unseres Erlebens.“ Humberto Maturana legte schließlich mit seinen Arbeiten zur menschlichen Kognition den Grundstein für einen radikalen Konstruktivismus biologischer Abkunft. Als autopoietische Systeme haben Menschen für ihn weder einen informationellen Input, noch einen Output. Die Informationen werden vom System selbst erzeugt, alle Austauschprozesse mit der Umwelt sind energetischer Art. Auch sind alle autopoietischen Systeme strukturdeterminiert, was bedeutet, dass nicht die Umwelt bestimmt, was mit dem System passiert, sondern die Struktur des Systems selbst. Daraus ergibt sich eine wichtige Annahme für das Lernen und zwar, dass der Lehrende nicht gezielt auf den Lernenden einwirken kann, sondern diesen lediglich in seinen Lernbemühungen unterstützen. Ausgehend von dem hier skizzierten Ansatz des Konstruktivismus wird nun, in Anlehnung an Brandl 1997, eine entsprechende Lerntheorie aufgezeigt, die sich an den genannten Annahmen orientiert. Lernen, wie es Konstruktivisten sehen, ist vor allem ein aktiver Prozess. Einerseits setzt effizientes Lernen intrinsische Motivation, Interesse und die aktive Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen voraus, andererseits ist es auch ein Prozess der Auseinandersetzung des Schülers mit einem Gegenstand nach eigenen Regeln, Vorerfahrungen und Verständniszugängen und im Kontext seiner individuellen Lebenswelt60. Lernen ist ebenfalls selbstgesteuert, da der Lernende den Vorgang selbst regulieren muss, im Bezug auf Auswahl, Aufwand und methodischen Zugang. Brandl merkt dazu an, dass „ein Mindestmaß an Fremdsteuerung durch den Lehrer (...) die Initiierung und die Kontinuität des Lernprozesses selbst dann (gewährleiste), wenn die Qualität der Selbststeuerung noch nicht im wünschenswerten Rahmen ausgeprägt ist.“ Lernen ist laut Brandl auch immer ein situativer Prozess, bei dem das zu Erlernende im gleichen Zusammenhang wie seine Anwendungsmöglichkeit stehen sollte. Schule muss daher immer die außerschulische „Realität“ in Lernvorgänge mit einbeziehen. Schließlich wird auch die soziale Komponente des Lernens in der konstruktivistischen Lerntheorie nicht vernachlässigt, obwohl die Konstruktion und Interpretation von Weltbildern stets eine individuelle Leistung darstellt. Der Lernende kann aber von und zusammen mit anderen Menschen Wissen erwerben. 2.1.2.5 Didaktik oder Mathetik: Das Problem der Etikettierung Der hier angeführte Begriff der Mathetik wird nach wie vor selten benutzt, selbst Fachleute für konstruktivistisches Lernen wie Kersten Reich, der die Standardwerke „Die Ordnung der Blicke“ verfasst hat, berufen sich eher darauf, eine „konstruktivistische Didaktik“ zu vertreten, weshalb man hier auch von einer gemäßigten radikal-konstruktivistischen Strömung spricht. Legt man aber der Betrachtung die Definitionen von Didaktik und Mathetik wie sie Hartmut von Hentig vornimmt, zugrunde, so erscheint es unangebracht, bei Rolf Robischons Pädagogik von einer Didaktik zu sprechen. In von Hentigs Gutachten für die Freie Alternativschule Frankfurt, welches im Rahmen eines Gerichtsprozesses erstellt wurde, unterscheidet er zwischen der Didaktik der Staatsschulpädagogik und der Mathetik einer Freien Alternativschule, wobei Didaktik von ihm als Lehre des richtigen Lehrens und Mathetik als Lehre des richtigen Lernens begriffen wird. Was hier wie ein Neologismus von Hentigs anmutet, ist ein Wort, dessen Ursprung bis auf Platon zurückgeht. Im 17. Jahrhundert griff Johann Amos Comenius, der anerkanntermaßen als Begründer der Didaktik gilt, den Begriff wieder auf, indem er ihn zum Unterscheiden zwischen einer Lernkunst und einer Lehrkunst benutzte. Obwohl die Idee sich in den Konzepten z.B. Fröbels oder Montessoris als „gestaltete Umwelt“ fortsetzte, blieb der Begriff Mathetik verschollen, bis von Hentig ihn 1985 wieder aufgriff. In dem heute diskutierten Zusammenhang impliziert Mathetik „das ‚konstruktivistische‘ Verständnis von Lernen, das dieses als aktiven, selbst-organisierenden (autopoietischen) Prozess versteht, bei dem die je eigenen ‚Wirklichkeiten‘ des Individuums von diesem ‚konstruiert‘ werden.“ Die gleiche Definition, der dieses Zitat entnommen ist, benennt auch noch weitere Aspekte, wie z.B. das symmetrische Verhältnis zwischen Lehrperson und Lernenden, deren Entsprechung in der Pädagogik Rolf Robischons allerdings in dem Kapitel über seine pädagogische Praxis erst noch zu zeigen sein wird. Ob man seine Pädagogik nun als konstruktivistische Didaktik oder als Mathetik einordnet, mag auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen. Da er aber selbst hierzu schreibt, „Mathema ist Griechisch und heißt: Das Gelernte. Nicht: Das, was gelehrt wurde.“ und somit die vorgestellte Einteilung vornimmt, erscheint letztere Bezeichnung eher geeignet. Zuletzt bietet sich durch die Verwendung des Wortes Mathetik auch die Möglichkeit der schärferen begrifflichen Abgrenzung gegenüber der Didaktik der traditionellen Schule, was angesichts der unterschiedlichen Ansichten beider zur besseren Strukturierung und Einteilung beitragen kann. 2.1.3 Kritik am Menschenbild der traditionellen Schule Rolf Robischons Kritik am Menschenbild der traditionellen Schule ergibt sich aus dessen Diskrepanz zu dem seinen. Während er aber in „Das Kind und die Schrift“ noch ausschließlich das Menschenbild der Schule angreift, erweitert sich das Problem in „Lernen ist wie Atmen“ und „Lernen ist wie Netze spinnen“ durch Hinzunahme der „Alltags- Erkenntnistheorie“ zu einem gesamtgesellschaftlichen. Hier soll nun eine Zusammenfassung des Menschenbildes folgen, das die traditionelle Schule, Rolf Robischon zufolge, ihrer Erziehungsphilosophie zu Grunde legt. Demzufolge sei ein Kind ein passives Wesen, dessen Hauptaufgabe in der Informationsaufnahme und -wiedergabe zur Kontrolle und Bewertung bestünde. Ähnlich einer Maschine würde etwas eingegeben, dass mit „größerem oder kleinerem Energieaufwand, mehr oder weniger qualitätsvoll, genauso wie erwartet oder ganz anders“ bearbeitet würde. Das Kind würde der Schule angepasst, indem es stillsitzen, zuhören und gehorsam sein solle. Beispielhaft führt er §5 des Schulgesetzes von Baden-Württemberg an, in dem es heißt, „man müsse die Kinder behutsam von den spielerischen zu den schulischen Formen des Lernen hinführen“. Das, so kritisiert er, lege die Vermutung nahe, man müsse aus Kindern Schüler machen. Der nach Fächern geordnete Unterricht setze voraus, das menschliche Gehirn sei „ein Behälter oder ein Regal, wohinein eingeordnet und abgefüllt wird.“ Er prangert die Vorstellung an, Unterricht sei wie ein Wasserfall, der auf die Schüler niederfließe, sie fülle, firnisse und abhärte. Solche Vorstellungen würden die Schule zu einem Dienstleistungsbetrieb abwerten, „in dem leere Kinderköpfe mit Lehrstoff gefüllt“ würden. Das Prinzip von Lob und Tadel, oder Belohnung und Strafe lehnt er als behaviouristisch ab, mit dem Hinweis darauf, dass „die Methode, mit Hilfe von Erfolgs- oder Mißerfolgserlebnissen richtige Ergebnisse wiederfinden zu lassen (...) mit Hilfe von Ratten“ erforscht worden sei. Zwar räumt er ein, dass ein solches Verhalten sich auch oft einstelle, jedoch bedauert er dies. Auch sei „Erziehung durch Belohnung und Bestrafung (...) Erziehung zu Bestechlichkeit und Unterwerfung.“ Noch nie sei ein Mensch durch Strafe geläutert worden – er würde beim nächsten Mal höchstens versuchen, nicht erwischt zu werden. Mietzel weist in diesem Zusammenhang auf empirische Befunde hin, die nachweisen, „dass von Lehrern als Bestrafung gedachte Maßnahmen in Wirklichkeit Verstärkungsfunktion besaßen. Häufig wird übersehen, daß jede Zurechtweisung zugleich mit einer Aufmerksamkeitszuwendung verbunden ist, die aber (...) die Funktion eines Verstärkers besitzen kann.“ In diesem Kontext lehnt Rolf Robischon auch Kontrolle und Bewertung, wie sie z.B. durch Notengebung stattfinden, ab. Dadurch werde ein Verhalten erlernt, das die Kinder von ihren tatsächlichen Leistungen absehen lasse und ihren Fokus auf die positiven Begleiterscheinungen von guten Noten, bzw. die negativen bei schlechten, richte. So kämen sie zu einem Strafvermeidungsverhalten, welches zu Ängsten vor den Folgen einer nicht erfolgreichen Vermeidung führen kann. In „Lernen ist wie Atmen“ schreibt er diesbezüglich: „Kontrolle und Bewertung schränken die Entwicklung entsetzlich ein, sie stempeln ab, etikettieren Menschen für ihr weiteres Leben.“ Und in „Lernen ist wie Netze spinnen“ fügt er hinzu: „Und wenn ein Kind schreibt: UNSARE KAZE HAT MICH GEKRAZD, dann ist der Satz nicht falsch. Falsch wäre es, wenn das Kind aus Angst vor Fehlern und Bewertung nichts schreiben würde.“ Im folgenden Abschnitt sollen zwei dieser Kritikpunkte vertieft und ihre Herkunft und Geschichte untersucht werden. Diese Punkte sind zum einen die „Alltags-Erkenntnistheorie“ und zum anderen die Kritik an Leistungmessung und -bewertung. Daran schließt sich das, mit der Kritik am Menschenbild der Schule eng verbundene, Thema Angst als Gegenstand der Untersuchung an. 2.1.3.1 Kritik der Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes Mit seiner Kritik an der „Alltags-Erkenntnistheorie“ wendet sich Rolf Robischon sowohl gegen die Schule im Speziellen, als auch gegen den Teil der Gesellschaft, der annimmt, „junge, unfertige Menschen seien durch Informationen, die von der belehrenden Institution ausgewählt sind, und durch Maßnahmen zu einem höheren Zustand zu führen“ im Allgemeinen. Eine solche Vorstellung beruhe auf der Annahme, Wissen könne in Köpfen angehäuft und Wahrgenommenes im Gehirn gespeichert werden. Weil Robischon zu dieser Gelegenheit auf Karl Popper verweist, der diese Alltags-Erkenntnistheorie im Übrigen die „Kübeltheorie“ nennt, soll hier ein kleiner Exkurs Poppers Schema der Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes und seine Kritik an ihr erklären. Dabei wird der Ausdruck „Kübeltheorie“ der Kürze halber übernommen, ohne dabei jedoch werten zu wollen. Laut Popper besagt die Kübeltheorie, dass jemand, der „etwas noch Unbekanntes über die Welt wissen möchte“, nur seine Augen oder Ohren bemühen müsse, um das Neue aufzunehmen. Die Sinne „sind also die Quellen unserer Erkenntnis, die Eingangspforten in unser Bewusstsein.“ Die Theorie nennt er deshalb Kübeltheorie, weil sie den Geist als einen, anfangs mehr oder weniger leeren, Behälter (Kübel) begreife, in den durch die Sinne (eine Art Trichter) Material gelange, das dort angehäuft und „verdaut“ würde. Insofern sei die Kübeltheorie mit der philosophischen Konzeption der tabula-rasa-Theorie des Geistes wesensgleich, auch wenn erstere nicht wie jene die unbedingte, völlige Leere des Geistes bei der Geburt propagiere. Die entscheidende These beider sei jedoch, dass „alles Wissen aus Informationen besteht, die wir durch unsere Sinne erhalten haben, das heißt durch Erfahrung.“ Wissen würden sich die Anhänger der Kübeltheorie als dingliche Repräsentation in uns vorstellen, wobei zwischen unmittelbarem oder direktem und verarbeitetem Wissen unterschieden werden müsse. Das unmittelbare Wissen stelle die reine, unverfälschte Information dar, die mittels des Geistes „verdaut“ würde. Die Qualität dieses Vorgangs würde dann über die Fehlerfreiheit des menschlichen Wissens entscheiden: je besser das Gehirn arbeite, desto reiner werde die Information gespeichert. Über die Sinne könnten solche verfälschten Informationen dann wieder korrigiert werden. Popper kritisiert an dieser Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes, an der er, nebenbei bemerkt, so gut wie alles falsch findet, vor allem deren Annahme, unsere Sinneseindrücke oder unmittelbaren Erfahrungen seien die sichere Grundlage aller Erkenntnis. „Die ganze Geschichte vom „Gegebenen“,“ schreibt er „von den wahren Daten, denen Gewißheit anhaftet, ist eine falsche Theorie (...).“ Rolf Robischon schreibt in diesem Zusammenhang in „Lernen ist wie Atmen“ folgendes: „Wir neigen dazu, etwas als Wahrheiten zu bezeichnen, was tatsächlich nur Vereinbarungen sind. Sprachen, naturwissenschaftliche Ordnungen, mathematische Gleichungen und so weiter sind Vereinbarungen.“ Statt dieser Kübeltheorie schlägt Popper nun vor, das Lernen als auf angeborenen Dispositionen beruhend zu verstehen. Unser subjektives Wissen von der Wirklichkeit bestünde somit aus „reifenden angeborenen Dispositionen.“ Wenn man diese Position mit der Rolf Robischons, wie sie in den Kapiteln 2.1.1 und 2.1.2 dargestellt wurde, abgleicht, wird die Ähnlichkeit beider deutlich. 2.1.3.2 Kritik an Leistungsmessung und -bewertung Die Kritik an der Leistungsmessung und deren Bewertung ergibt sich aus der Annahme, dass Kinder nicht gut oder schlecht arbeiten, sondern, dass sie, wenn man sie lässt, so viel lernen wie ihnen möglich ist. Auch Hans Herbert Deißler von der Pädagogischen Hochschule Freiburg bemerkt dazu, dass die Annahme der natürlichen Lernfähigkeit die Wertung und Überprüfung von Resultaten ausschließe. Die natürliche Lernfähigkeit ermögliche keine Selektion, da die Lernunwilligkeit entfalle. Demzufolge kann Leistung nicht objektiv, sondern nur subjektiv gemessen werden. Als problematisch stellt sich deshalb schon der Anspruch dar, eine ganze Klasse mit nur einerlei Maß messen zu wollen, denn zum einen geht Rolf Robischon ja davon aus, dass die Leistung des Kindes bereits das ihm zu diesem Zeitpunkt Mögliche darstelle, zum anderen betont er, dass jeder Mensch andere Lebensbedingungen Voraussetzungen, Eigenschaften und Möglichkeiten habe und er deshalb auf Kommunikation, nicht auf Kontrolle und Bewertung angewiesen sei. Die Forderung, die sich daraus ergibt ist keine neue, denn auch Pestalozzi postulierte bereits im 18. Jahrhundert: „Vergleiche nie ein Kind mit einem andern, sondern jedes nur mit sich selbst.“ Die Eindimensionalität der Lösungsmöglichkeiten, die der Leistungsbewertung zugrundeliegen, ist ein weiterer Kritikpunkt Rolf Robischons. Damit ein Kind seine eigene Persönlichkeit entfalten könne, müssten die Lehrkräfte u.a. darauf verzichten, keine anderen als die vorgesehenen Lösungen oder Ergebnisse anzuerkennen. Die Abqualifizierung kindlicher Experimente als falsch würde dazu führen, dass Kinder „den eigenen Erfahrungen und Experimenten die Bewertung der Lehrkraft voranstellen und immer versuchen, sich an deren positive Bewertung heranzutasten.“, was zu Unsicherheit und Angepasstheit führen würde. Fehler sind, wie gezeigt wurde, für Robischon sogar lebensnotwendig. Dabei vergleicht er die Situation des Lernenden mit jemandem, der sich durch einen dunklen Gang tastet. Wenn diese Person nicht anstoßen dürfe, so wüsste sie nichts über ihren aktuellen Standort. Auskünfte von außen, wie es Noten für den Lernenden sind, seien dabei nicht von Nutzen. Als weiteres Argument gegen die Leistungsmessung führt er die Gleichzeitigkeit aller schulischen Maßnahmen, wie z.B. des Schulbeginns, vor dem Hintergrund der individuellen Situationen der Kinder, an. Vor allem der geplante Unterricht oder, der „Gleichschritt im Lernen“ wie er es nennt, würde dazu führen, dass „natürlich nicht alle auf die gleiche Weise mithalten können“, was eine Beurteilung ungerecht erscheinen lässt. Unter anderem am Beispiel der benoteten Hausaufgaben verdeutlicht Robischon, wie die Notengebung den Fokus des Kindes von seinen Interessen und der Wertschätzung seiner Arbeit, auf das Erreichen von guten Noten verschiebe und zu einem Verhalten führe, bei dem das Kind versuche Lob zu erheischen und Strafen zu vermeiden. Gute Schüler lernten dabei für sich, und lieferten am nächsten Tag die Ergebnisse gegen ein Lob oder eine gute Note ab, schlechte Schüler müssten erst die „heimischen Hilfstruppen“ mobilisieren, um auch etwas abliefern zu können. Komplizierend käme hinzu, dass der Lehrer diese Arbeiten nicht wirklich brauche, da er ja die Aufgaben kenne. Schenkt man Rolf Robischon Glauben, so lernen die Schüler dann nicht mehr für sich, sondern, wie Seneca der Jüngere in seinen moralischen Reden schreibt, für die Schule. Hier drängt sich auch eine, möglicherweise ungewollte, Paralelle zu der Entfremdungstheorie im Kapitalismus von Karl Marx auf. Laut Marx entfremdet sich der Mensch von seinem Produkt, sobald er es nicht mehr für seinen Bedarf (hier: das Lernen) herstellt und auch, wenn andere (hier: der Lehrer, der Lehrplan u.s.w.) bestimmen, was er zu produzieren habe. Rolf Robischon kritisiert weiter am Notensystem, dass mit seiner Hilfe Auslese betrieben würde, obwohl Menschen Lebewesen seien, die nur in der Gruppe überleben können.104 Auch würden in die Noten zwar Faktoren wie Anpassungsfähigkeit, Gehorsam, Freundlichkeit, Höflichkeit, Sauberkeit und Ordnung einfließen, nicht jedoch Kreativität, Originalität, Selbständigkeit, Sozialverhalten, „sowie die Fähigkeiten zu Kommunikation, zur Herstellung von Beziehungen und zu Kritik .“ In „Das Kind und die Schrift“ zitiert er, um seine Argumentation zu unterstreichen, aus einer nicht genauer spezifizierten Studie der Max-Planck-Gesellschaft, in der stünde, dass überdurchschnittliche Leistungsförderung nur durch das Wegfallen eines engen Leistungsbegriffes, der geschwindigkeitsbetonten Leistungsanforderungen und durch den Abbau von Leistungsangst zu erreichen sei. Das nächste Kapitel wendet sich daher der Leistungsangst und anderen Hemmnissen des Lernens zu. 2.1.4 Lernschwierigkeiten Die Lernschwierigkeiten, wie sie hier diskutiert werden sollen, lassen sich in zwei Kategorien aufteilen: Einmal sind dies angeborene Schwierigkeiten, unter denen hier alle körperlichen und geistigen Gebrechen aufgefasst werden, die das Lernen erschweren und nicht nur solche, die meist als Lernbehinderung bezeichnet und über den Intelligenzquotienten der Person definiert werden. Zweitens sind Lernschwierigkeiten das Ergebnis einer, von außen auf den Lernenden einwirkenden Störungsquelle, die sein Lernen behindern oder unmöglich machen. Ein Lehrer hat normalerweise durch seinen Beruf immer mit beiderlei zu tun und so finden sich auch bei Rolf Robischon einige Beispiele diesbezüglich. 2.1.4.1 Angeborene Lernschwierigkeiten Rolf Robischon berichtet mehrmals in seinen Büchern von Kindern mit Lernbehinderung und dass sie mehr Zeit benötigten als andere. Er schreibt weiter, dass er immer wieder Kinder aufnahm, „für die es auch eine Sonderschule gäbe“ und sich dabei den Unwillen der ihm vorgesetzten Behörden zugezogen habe. Symptomatisch für den allgemeinen Umgang mit Behinderten führt er das Beispiel eines Modellversuchs in Südbaden an, bei dem Kinder mit Behinderung gemeinsam mit „normalen“ Kindern unterrichtet hätten werden sollen. Ein Brief von betroffenen Eltern, die befürchtet hätten, ihre Kinder kämen „im Unterricht möglicherweise zu kurz“ habe dazu geführt, dass die behinderten Kinder in Schulen für Geistigbehinderte eingeschult worden seien. Wenn Rolf Robischon es kritisiert, dass Kinder ihren Lernfähigkeiten entsprechend auf verschiedene Schulen verteilt werden, so hat dies zwei Gründe. Zum einen kann es, wenn ein Kind nach seiner Methode lernt, nicht als lernbehindert gelten, denn es würde ja das ihm Erreichbare lernen und eine Behinderung könnte deshalb nur außerhalb seiner Struktur liegen. Zum anderen lasse die Ansicht, dass eine Lehrkraft sich mit langsamen Kindern aufhalte und die anderen Kinder deshalb nicht genug gelehrt bekämen, auf die bereits diskutierte Erkenntnistheorie des Alltagsverstandes schließen. Ein Kind kann in den Augen Rolf Robischons nicht lernbehindert sein, es lernt möglicherweise einfach nur langsamer als andere Kinder, da seine Geschwindigkeit eine andere ist. So plädiert er auch für Unterschiede innerhalb der Klasse, anstatt der üblichen Auslese. Um dieses Konzept der Unterschiede zu veranschaulichen, kann der Praktikumsbericht einer Studentin aus ihrer Zeit an der Johannes-Gundschule dienen. Darin beschreibt sie das Verhalten eines Kindes, das aufgrund eines Leistungstests nach der dritten Klasse auf die Sonderschule gehen sollte. Um ein Laufdiktat zu schreiben, benötigte das Kind zwar drei Schulstunden, schließlich war der Text dann aber fehlerfrei. Zeit ist also der wichtigste Faktor im Umgang Rolf Robischons mit Kindern mit angeborenen Lernschwierigkeiten und wenn man wie er annimmt, dass auch diese soviel lernen wie sie können, wenn man sie lässt, so erscheint ihre Integration in einen gewöhnlichen Klassenverband vollkommen unproblematisch zu sein. Hervorzuheben ist aber in jedem Fall die soziale Komponente des Lernens, die sich auch für andere Schüler damit eröffnet. Bereits 1994 formulierte die UNESCO-Konferenz in Salamanca die Forderung nach einer solchen Inklusion als wichtigstes Ziel der Internationalen Bildungspolitik. In ihrer Erklärung wird betont, „dass Schulen alle Kinder, unabhängig von ihren physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten aufnehmen sollen. Das soll behinderte und begabte Kinder einschließen, Kinder von entlegenen oder nomadischen Völkern, von sprachlichen, kulturellen oder ethnischen Minoritäten sowie Kinder von anders benachteiligten Randgruppen oder -gebieten.“ 2.1.4.2 Aggressionen Bei dem Thema Aggressionen bedarf es zunächst einer Begriffsklärung, da der Begriff bei Rolf Robischon nicht trennscharf verwendet wird. So schreibt er in „Lernen ist wie Atmen“ zuerst, „Aggressivität ist so eine Desorientierung“ und zu einem späteren Zeitpunkt „Aggression als Desorientierung“, was auf eine synonyme Verwendung des Begriffes hin deutet. Da die Definition von Aggressivität jedoch auf die innere Bereitschaft zur Ausführung einer Aggression verweist, die durch Faktoren wie Hormone oder Erfahrungen beeinflusst wird, soll hier angenommen werden, dass Rolf Robischon beide Ausdrücke im Sinne der Bedeutung von Aggression verwendet. Ein Kind könnte auch über eine geringe Aggressivität verfügen, die nicht zu Aggressionen führt und die Frage „Wie gehen Lehrer mit Aggressivität (...) um?“ hätte dann eine andere Bedeutung, als Rolf Robischon ihr wahrscheinlich geben wollte. Unter Aggression ist im Folgenden jegliches Angriffsverhalten, verbal oder nonverbal, physisch oder psychisch zu verstehen. Darüber, ob ein solches Angriffsverhalten nun angeboren oder erworben ist, herrscht in der Wissenschaft Unklarheit, bzw. sogar Streit. Bei Rolf Robischon verweisen verschiedene Aussagen wie „Der Schüler macht nicht das Problem, er hat es.“ darauf, dass er die Gründe für Aggressionen außerhalb des Schülers verortet. Wenn er weiter, wie schon bei den Beispielen zur Begriffsklärung angeführt wurde, Aggression als Desorientierung wertet, dann sind diese Gründe leicht zu identifizieren. Im einzelnen sind dies alle Kommunikationsformen, die das Erkennen der eigenen Person, der Umgebung, der Beziehungen zur Umgebung und zu anderen Menschen unmöglich machen. Deutlicher wird dies, wenn man sich vor Augen führt, dass auch Brutalität, Krieg oder Selbstmordversuche für ihn Kommunikationsformen sind. Menschen, die desorientiert sind, sind deshalb für ihn auch nicht eine Bedrohung, sondern selbst in Not. „Wer desorientiert ist, verhält sich wie ein Käfer bei Gefahr oder wie eine Fliege, die in Limonade gefallen ist. Er erstarrt oder schlägt um sich.“ In diesem Zitat wird noch ein anderes Verhalten als mögliche Reaktion auf Desorientierung angeführt und zwar die Zurückgezogenheit. Rolf Robischon wertet ein solches Verhalten als ebenso problematisch wie Aggressionen und kritisiert, dass die Thematik der „stillen Kinder“ keinen Einzug in die Fachdiskussion hält, denn „Die sind ja brav und machen keinen Ärger.“ In einem Schema mit dem Titel „Möglichkeiten des Umgangs mit schwierigen Schülern“ sieht er die Lösung für eine solche Desorientierung in der Änderung des Verhaltens der Mitschüler, des Lehrers und der Eltern. Er plädiert dafür, dass Lehrer aggressive Kinder in Schutz nehmen und Verzweifelten zuhören. Sie sollen einem unsicheren, irritierten, aufgeregten Kind auf jeden Fall erst einmal die Hand geben und wenn es geht, leise und ruhig mit ihm sprechen, bis es sich beruhigt hat. Da die vielfältigen Formen der Desorientierung bei Rolf Robischon allesamt Hindernisse für das Lernen sind und das Lernen aber, wie gezeigt, für das Kind ein Grundbedürfnis ist, so möchte es auch selbst seine Orientierung wieder herstellen. Die Aufgabe des Lehrers ist es, das Kind dabei zu unterstützen. 2.1.4.3 Angst Vorab sollen hier kurz die der Wissenschaft bekannten Auswirkungen von Angst auf schulisches Lernen geklärt werden, um so die Relevanz des Themas zu begründen. So zeigte Wine 1971, dass ängstliche Personen sich nicht ausreichend auf die vor ihnen liegende Aufgabe konzentrieren können. Bei sehr ängstlichen Menschen ist bereits die Informationsaufnahme derart beeinträchtigt, dass Aufgaben erst gar nicht in das Stadium ihrer Verarbeitung gelangen. Als Leitsatz gilt, dass je anspruchsvoller die Aufgabe, desto hinderlicher Angst bei ihrer Lösung ist. Nun spricht Rolf Robischon von Angst in seinen Büchern in mehr als einem Zusammenhang, nicht nur im Zusammenhang mit den Schülern. So erwähnt er zum Beispiel in „Lernen ist wie Netze spinnen“ von der Angst der Lehrkräfte, Kinder loszulassen. Die Befürchtung sei, dass die Kinder sich verletzen oder dem Einfluss der Erwachsenen entziehen könnten. Mietzel zitiert in seinem Buch „Psychologie in Erziehung und Unterricht“ Heinz Walter Krohne, der die Entstehung des Angstzustands nicht nur an der Wahrnehmung einer Gefahrensituation festmacht, sondern außerdem daran, dass eine angepasste Handlung nicht möglich erscheint. Die Lehrkräfte fürchten sich laut Rolf Robischon also nicht nur vor einer hypothetischen Bedrohungssituation, sondern auch davor, in dieser nicht angepasst handeln zu können, wenn sich das Kind nicht in ihrem Einflussbereich befindet. Eine Schwierigkeit für Robischons selbstorganisiertes, kooperatives Lernen ergibt sich aus dieser Angst, wenn das Kind nicht mehr selbständig entdecken, nicht mehr Fehler begehen darf, aus Sorge des Aufsichtspflichtigen, es könnte ihm etwas dabei zustoßen. Eine zweite Angst, die nicht primär mit dem Lernen der Kinder, wohl aber mit Rolf Robischons Art zu unterrichten zu tun hat, ist die der Eltern. Sie reicht von der, bereits in dem Kapitel über angeborene Lernschwierigkeiten erwähnten, Angst, die Kinder kämen im Unterricht „zu kurz“, über die Vorstellung, es ginge bei einem solchen Unterricht, wie Rolf Robischon ihn praktiziert „drunter und drüber“ und die Kinder könnten „tun, was sie wollen“ bis hin zu dem Vorwurf, Rolf Robischon sei „zu gut zu den Kindern“. Diese Ängste haben verschiedene Ursachen. Zum einen befürchten die Eltern natürlich, dass die Kinder „falsch“ oder gar nicht erzogen würden und der dadurch verursachte Wildwuchs irreversibel sein könnte. Dabei spielt das Halbwissen über nicht-autoritäre Strukturen, die in diesem Zusammenhang oft mit der berüchtigten „Laissez-Faire“ Erziehung gleichgesetzt werden, möglicherweise eine Rolle. Ein anderer Grund ist, dass Eltern eine solche Pädagogik als unzulänglich bewerten, wenn es darum geht, die Kinder auf das spätere Leben in der freien Wirtschaft vorzubereiten. Die Argumentation verläuft hier so, dass eine Erziehung, in der Leistung auf Freiwilligkeit beruht, Zwänge, die das spätere Leben beherrschen würden, nicht ausreichend berücksichtige130. Schließlich ziehen viele Eltern zur Bewertung der Schule natürlich auch ihre eigenen Erfahrungen heran. Diese hätten, so schreibt Rolf Robischon, „Schule selbst erlebt wie preußische Kriegsführung. Ein Truppt rückt vor. Richtung und Ziele werden vom Kommandierenden bestimmt. Auf Disziplin und Gehorsam kann auf keinen Fall verzichtet werden.“ Manche Eltern mögen sogar befürchten, ihr Kind würde durch die Erfahrung von Freiheit ihrem Einfluss entzogen. Was aber auch immer die Gründe der Elternängste im einzelnen sind, Rolf Robischon ist sich der Skepsis gegenüber seiner Art zu unterrichten bewusst, weshalb er versucht, seinen Unterricht so transparent wie möglich für sie zu machen, indem er z.B. Briefe schreibt, die sogenannten Elterninformationen. Darin informiert er einerseits über den Fortschritt der Kinder, andererseits wirbt er auch um Verständnis für einen Unterricht, der vom herkömmlichen abweicht. Wo ihm das aber nicht gelingt, kommt es auch vor, dass er eine Klasse auf Bestreben einiger Eltern abgeben muss, wie ein Brief einer Mutter belegt. In diesem Brief spricht die Mutter auch die Angst einzelner Kinder vor der neuen Lehrerin an, weil „die auch falsch geschriebene Buchstaben als Fehler anguckt“. In diesem Fall haben sich die Ängste der Eltern auf die Kinder und dadurch wiederum auf ihr Lernen ausgewirkt. Auch Alexander Neill thematisiert in seinem Buch zur Summerhill-Schule das Thema Elternangst. Neben einer eifersüchtigen Angst, die Schule könne ihnen die Liebe der Kinder wegnehmen, beschreibt er als größtes Hindernis für die Entwicklung des Kindes die mangelhafte Identifikation der Eltern mit den Methoden der Summerhill-Schule. Dadurch würde das Kind hin- und hergerissen und müsste ständig zweifeln, wer nun recht habe, die Schule oder die Eltern. Hierin kann eine Erklärung für die lernhemmende Auswirkung von Elternängsten auf die Kinder gesehen werden. Neben diesen Ängsten von Personen im Umfeld des Kindes, ist die wesentlichste Angst natürlich die, welche Kinder selbst aufgrund unterschiedlicher Einflüsse haben können. Hier sind zunächst einmal die außerschulischen Ursachen für Angst im Umfeld der Kinder zu nennen. So schreibt Rolf Robischon zum Beispiel, ein Schüler „kommt voller Ängste und Aufregungen in meine Klasse, wie die meisten anderen“. Da er die Lebensumstände der Kinder kaum kennt und diese auch erst nach und nach teilweise erfährt, sind ihm viele dieser Faktoren, die für diese Ängste verantwortlich sind jedoch unbekannt. Eine Ursache sieht er aber in der Gewalt, von der die Kinder täglich, vor allem durch die Medien, umgeben sind, wie er auch durch den Verweis auf Unterhaltung, Videos und Fernsehprogramme betont. Gewalt macht er aber auch als Spiel, als Umgangsform und als „action“ aus, sie nehme bei Kindern zu und ebenso gegen sie. Diese Verknüpfung Robischons von Angst mit Gewalt zeigt sich auch in der Aussage über einen Jungen, den er als „ängstlich und brutal“ zugleich beschreibt. Nun sind aber die Ursachen für Ängste nicht alleine im außerschulischen Umfeld zu suchen, sondern vielmehr stellt die sogenannte Schulangst ein viel relevanteres Thema dar, wie sich einer Handreichung für Eltern des Landesbildungsservers Baden-Württemberg entnehmen lässt. Dort wird zwischen den Erscheinungsformen Schulangst als Angst vor Belastungen, Schulphobie als Trennungsangst und somit als primär familiäres Problem und Schulschwänzen als Unlust und Desinteresse unterschieden. Während die Schulphobie als Angst vor der Trennung von nahestehenden Personen einmal am Rande in „Lernen ist wie Netze spinnen“ angesprochen wird und das Schuleschwänzen als Ursache meist nicht Angst, sondern mangelnde Motivation hat, ist es vor allem die erste Form, die Angst vor Belastungen, die Eingang findet in die Überlegungen Rolf Robischons. Diesen Überlegungen stellt er die zentrale Frage voran, „Was macht vor und in der Schule Angst?“, um sie sogleich zu beantworten: „Der sogenannte Leistungsdruck, die ständigen Kontrollen, die unablässigen Bewertungen jeder Regung eines Schulkindes!“ Tatsächlich entsteht diese Leistungsangst vor allem bei Schülern mit einem „Selbstkonzept geringer Fähigkeiten“ wenn sie versuchen „gegenüber sich selbst und anderen ein gutes Abbild ihrer Fähigkeiten zu liefern.“ und dabei häufig Mißerfolge erleben. Dadurch wird jede Leistungssituation zu einer Bedrohung, da sich nicht nur die Gefahr des eigenen Versagens abzeichnet, sondern auch im Bezug auf Mitschüler, Lehrer und Eltern negative Konsequenzen drohen. Diese Unterscheidung zwischen Schülern, die Angst haben, weil sie ihre Fähigkeiten als gering einstufen und solchen, die angstfrei sind, nimmt Rolf Robischon aber nicht vor. Er behauptet auch nicht, dass alle Schüler „geschüttelt sind von Ängsten“, jedoch schreibt er, dass die die es sind, sich schwertun mit dem Lernen, dass sie Probleme haben, Beziehungen zu ihrer Umwelt zu etablieren, sich zu orientieren, wodurch die Verbindung von Angst und Lernen zum Ausdruck kommt. Wie beim Thema Aggressionen handelt es sich für ihn bei der Angst also auch um eine Desorientierung und aus den gleichen Gründen erschwert sie das Lernen. In der Konsequenz fordert er im Ausblick von „Lernen ist wie Atmen“, „Eine Schule ohne Angst, ohne Maßnahmen, Strafen, Bewertungen.“ 2.2 Politisch-soziale Begriffe der Pädagogik Rolf Robischons Aus der vorangegangenen Auseinandersetzung mit den anthropologisch-philospohischen Grundlagen der Pädagogik Rolf Robischons ist ersichtlich geworden, dass jene sich vollständig und schlüssig aus diesen heraus entwickeln lässt und so weist auch das folgende Kapitel einen direkten Bezug zu ihnen auf. Allerdings handelt es sich bei den zu diskutierenden Begriffen um solche, die ihre Bedeutung erst im sozialen Zusammenhang einer Gemeinschaft erhalten und für den Einzelnen sonst keine Bedeutung entfalten würden. Deshalb soll hier der Fokus erweitert werden, von Begriffen, die den einzelnen Organismus betreffen, hin zu solchen, die für Gemeinschaften relevant sind. Da die hier zu diskutierenden Begriffe auch komplexer sind als die vorangegangenen, ist ihnen ein eigenes Kapitel eingeräumt worden. 2.2.1 Freiheit Der Begriff der Freiheit besitzt einen zentralen Stellenwert in Rolf Robischons Pädagogik und trotzdem findet das Wort an sich äußerst selten Eingang in seine Bücher. Ein einziger, halbseitiger Abschnitt in „Lernen ist wie Netze spinnen“ setzt sich damit explizit auseinander. Nun ist dies einerseits, wenn man den Stil seiner Bücher betrachtet, nur konsequent, denn zu keiner Zeit haben sie den Charakter von abstrakten, wissenschaftlichen Betrachtungen, sondern sie sind stets von einem praktischen Standpunkt aus entwickelt. Andererseits würde eine solche Definition und wiederkehrende Bezugnahme auf den Begriff der Freiheit vielleicht zu einer besseren Strukturierung beitragen. Stattdessen sind es oft Begriffe wie Eigenverantwortlichkeit, die Synonym benutzt werden, oder Sachverhalte, deren implizierte Forderung die nach Freiheit ist, welche diese durchgehende Struktur bestimmen. Im Folgenden soll Rolf Robischons Begriff der Freiheit umrissen werden, ausgehend von den theoretischen Fundamenten seiner Pädagogik um ihn dann mit der erwähnten Definition aus „Lernen ist wie Netze spinnen“ zu vergleichen und ggf. Ergänzungen vorzunehmen. 2.2.1.1 Die Definition der Freiheit aus der Idee der Strukturdetermination Aus dem zu Robischons Menschenbild Gesagten ergibt sich zweierlei in Bezug auf die vorzunehmende Definition: Erstens ist der strukturdeterminierte Mensch von Geburt an auf seine individuelle Struktur beschränkt, was bedeutet, dass freie Willensentscheidungen immer nur in einem bereits vorgegebenen Rahmen stattfinden können. Vor diesem Hintergrund müssen alle weiteren Forderungen nach Freiheit gesehen werden. Zweitens sind daher Störungen in der Entfaltung der Struktur als Beschränkungen der maximal erreichbaren Freiheit einer Person zu werten. Freiheit ist also sowohl ideale, projizierte individuelle Möglichkeit, etwas, das von Person zu Person unterschiedlich ist und bei der Geburt bereits feststeht, als auch die tatsächliche Bandbreite der Handlungsmöglichkeiten, bedingt durch die momentane Struktur eines Lebewesens, etwas das durchaus bei unterschiedlich veranlagten Menschen gleich sein könnte. Auf die erstere Form von Freiheit soll von hier an als die absolute Bezug genommen werden, auf die letztere als die relative. Wird der Mensch in der Ausübung seiner absoluten Freiheit behindert, so resultiert daraus eine eingeschränkte Freiheit, die relative. Wird er dann wiederum in der Ausübung seiner relativen Freiheit behindert, so ist das Ergebnis eine andere, ebenfalls jedoch relative Freiheit. Die absolute Freiheit ist also statisch, während die relative dynamisch ist148. Dies ist das Konzept der inneren Freiheit. Nun kommt als weiterer Faktor die äußere Freiheit hinzu, die sich durch die Frage ausdrückt, ob man die gegebenen Möglichkeiten überhaupt einsetzen kann, oder ob man von der Umwelt in ihrer Ausübung gehemmt wird. Wie oben gezeigt, führt eine Negation der Freiheit zur relativen Freiheit, ihre Bejahung aber führt zur Freiheit zur Freiheit. Somit ist erst wirklich frei, wer seine Freiheit ausüben darf und dies auch kann. Freiheit ist also sowohl innere als auch äußere Möglichkeit zur Handlung. Fällt eine der Möglichkeiten weg, so kann nicht mehr von Freiheit gesprochen werden. 2.2.1.2 Rolf Robischons Definition der Freiheit In wenigen Sätzen macht Rolf Robischon in „Lernen ist wie Netze spinnen“ einige gewichtige Aussagen zum Thema Freiheit. Zuerst kennzeichnet er sie als Eigenverantwortlichkeit und stellt fest, dass es damit Freiheit entweder gibt, oder nicht. Hierin findet sich bereits die gesamte obige Definition wieder, sowohl die äußere, als auch die innere Möglichkeit der Handlung. Die innere Möglichkeit in Form einer Fähigkeit zur Eigenverantwortung ist dem Begriff bereits immanent. Dass Rolf Robischon diese Bedeutung in seinen Freiheitsbegriff legt, zeigt sich in dem Beispiel eines Kindes, von dem er schreibt, dass es gerade dabei sei, Selbstbewusstsein zu entwickeln – zweifellos die Basis für Eigenverantwortlichkeit. Dessen Mutter aber, der er dies mitteilt, entgegnet, dass ihr Sohn schon zuviel Selbstbewusstsein habe. Herr Robischon kommentiert dies mit der Bemerkung, dass sie unterschiedliche Auffassungen von Freiheit haben. Man kann hier also von einer Verbindung zwischen Selbstbewusstsein und Eigenverantwortlichkeit, oder von einer Fähigkeit zur Freiheit sprechen. Aber auch die äußere Möglichkeit zum Einsatz dieser Fähigkeiten wohnt dem Begriff der Eigenverantwortlichkeit inne, denn wo es diese gibt, da gibt es auch immer die Fremdverantwortlichkeit und jene ist immer eine äußere Verlagerung der Entscheidungskompetenz weg vom Individuum. So schreibt er, dass wer im Prozeß seiner Selbststrukturierung gestört, wer also keine Eigenverantwortlichkeit hat, in der Koppelung mit anderen Strukturen behindert und eingeschränkt wird151. Wie oben beschrieben, legt die Struktur die maximale Freiheit fest. Wenn man aber, wie Rolf Robischon, von einer optimalen Entfaltung der Struktur durch Selbststrukturierung ausgeht, müsste man diese Selbststrukturierung als einen Weg zur Freiheit und als Freiheit selbst begreifen, denn sie fördert die innere und setzt die äußere Möglichkeit zur Handlung voraus. Es handelt sich bei obigem Beispiel also um eine negative Definition von Freiheit als dem Frei-sein von Fremdbestimmung. Insgesamt ist Robischons Definition also deckungsgleich mit jener, die aus den theoretischen Fundamenten seiner Pädagogik entwickelt wurde, auch wenn sie – mit einer Ausnahme – die Etikettierung Freiheit scheut. Er geht aber über obige Definition hinaus und erweitert den Freiheitsbegriff um einige ungewöhnliche Aspekte. So schreibt er, dass die Bereiche in denen man frei sein könne, vor allem die seien, in denen man mit anderen Menschen zu tun habe und „Es gibt keine Freiheit auf Kosten anderer. Macht schließt Freiheit aus.“. Das Ungewöhnliche ist hier, dass Freiheit in einem sozialen Kontext gesehen wird, in dem sie sich von der bürgerlich-liberalen Vorstellung unterscheidet, da Freiheit hier durch die Freiheit aller bedingt, nicht durch sie beschränkt wird. Um diese Aussage richtig verstehen zu können, muss man sich wieder vergegenwärtigen, dass Freiheit mit Eigenverantwortlichkeit gleichzusetzen ist. Dabei liegt die Betonung bei diesem Aspekt der Freiheit auf der Verantwortlichkeit und stellt ein inneres Vermögen, eine Bedingung der Freiheit dar. Anders gesagt ist der, der nicht verantwortlich zu handeln vermag, ebensowenig frei wie der, der von außen an seiner Freiheit gehindert wird. Die vorangestellten Aussagen sind also nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Bei näherer Untersuchung wird deutlich, dass sie den Aspekt der inneren Freiheit der Eigenverantwortlichkeit hervorheben und lediglich Konsequenz des entwickelten Begriffes darstellen. 2.2.1.3 Begrenzungen des Freiraumes nach Potthoff 1995 Wie Janusz Korczak 1967 feststellt, vermögen „In loser Gruppierung ohne feste Organisationen (...) nur wenige, außergewöhnliche Kinder zu gedeihen und sich zu entwickeln: aber Dutzende verkümmern dabei“153, weshalb Freiheit für Willy Potthoff, der ihn hier zitiert, Freiheit sinnvoll nur in begrenzten Freiräumen stattfinden kann. Diese Begrenzungen sieht er erstens in der Auswahl der Materialien die durch den Lehrer erfolgt, zweitens in der für die Bearbeitung des Materials vorgesehenen Zeit und drittens in den Auflagen zum Umgang mit Mitmenschen und Material. Ergänzend wäre noch die Beschränkung der Bewegungsfreiheit hinzuzufügen. Im Folgenden soll eine kurze Auseinandersetzung mit Potthoffs Behauptungen klären, inwiefern die Freiheit der Kinder in der Robischon-Pädagogik durch die genannten Begrenzungen eingeschränkt wird. Zuerst einmal ist festzustellen, dass das Material natürlich auch bei Robischon durch den Lehrer ausgewählt wird. Anders als Potthoff es aber in der Folge fordert, muss sich das Kind hier nicht an die vom Lehrer getroffene Auswahl halten. In Robischons Klasse gibt es die Auswahl nur als Angebot, die Kinder können auch anderen Beschäftigungen nachgehen, so schreibt er z.B. „Dass zwei oder drei Kinder hinter die Stellwand gehen und aus Stühlen, Sitzbällen, großen Büchern und den Riesenpuzzles anfangen eine Höhle zu bauen, in die sie sich dann zurückziehen.“ Kinder können auch Gegenstände aus anderen Klassenzimmern benutzen, wie aus der Dokumentation seiner Arbeit vom März 2004 hervorgeht. Die Auswahl ist also nur durch die momentane Verfügbarkeit beschränkt, etwa wenn alle Exemplare eines Materials in Gebrauch sind. Die für die Bearbeitung des Materials vorgesehene Zeit ist unterschiedlich begrenzt. Im Sportunterricht etwa legt der Belegungsplan der Halle den Zeitrahmen fest. Die Anwesenheit des Lehrers begrenzt den Schultag und die Lernuhr – wie unter Rituale noch ausgeführt wird – grenzt unterschiedliche Phasen voneinander ab. Vieles deutet allerdings auch darauf hin, dass die Bearbeitung des Materiales eben nicht durch die Zeit beschränkt wird, was unter anderem durch die Forderung nach „Toleranz für Langsamkeit“ von Rolf Robischon zum Ausdruck gebracht wird. Auf keinen Fall kann aber generell von einer für die Bearbeitung des Materials vorgesehenen Zeit gesprochen werden, da Rolf Robischon behauptet, dass von den Kindern „jedes in seinem eigenen Tempo“ lernen kann. Die zeitlichen Begrenzungen sind organisatorischer Natur und beziehen sich deshalb nicht auf das Material. Die Auflagen im Umgang mit Mitmenschen und Material, von denen Potthoff spricht, sind auch bei Rolf Robischon vorhanden. Allerdings sollen die anfänglichen Verbote im Rahmen seiner Idee der Freiheit zur Eigenverantwortlichkeit werden, was ihm auch zu gelingen scheint, wenn er schreibt, dass von den eingangs drei Verboten schließlich nur noch dieses eine übrigblieb, man dürfe andere nicht beim Lernen stören159. Beim Material spricht sich Rolf Robischon ganz klar für die gemeinsame Nutzung einer Sache durch mehrere Kinder aus, man vergleiche dazu die Kapitel über die einzelnen Lernbereiche ab 4.3 und dort vor allem Heimat- und Sachkunde so wie Sport. Die Kinder sollen hier Vereinbarungen selbst treffen, also eigenverantwortlich sein. Bei der Bewegungsfreiheit ist zwischen der Bewegungsfreiheit innerhalb und außerhalb des Schulgeländes zu unterscheiden. Innerhalb des Schulgeländes fordert Rolf Robischon offene Türen und die Möglichkeit für die Kinder hindurchzugehen, seine „Erlaubnis“ heißt hierzu: „Sich immer frei bewegen.“ Dabei können sie auch während des Unterrichts in den Schulhof oder den Garten. Wenn es Kindern schlecht geht, haben sie die Möglichkeit, vom Klassenzimmer aus zu Hause anzurufen, um abgeholt zu werden. Hier können Kinder sich auch nach außerhalb der Schule bewegen. Die Bewegungsfreiheit kann ansonsten aber nicht absolut sein, da sie durch die Schul- und Anwesenheitspflicht im Schulgesetz geregelt wird. Insgesamt ist die Dimension der Freiheit bei Rolf Robischon größer, als Willy Potthoff sie veranschlagt, trotz dessen Behauptung, dass nur innerhalb dieser Grenzen Freiheit und effektives Lernen zu vereinbaren seien. Robischon verwirklicht dabei in einigen Bereichen seine theoretischen Ideen von Freiheit, in manchen muss er Kompromisse mit der gesetzlichen Realität eingehen. 2.2.2 Gehorsam und Macht Das Begriffspaar Gehorsam und Macht wird explizit in „Lernen ist wie Atmen“ eingeführt, aber ähnlich wie der Begriff der Freiheit fließen auch sie in viele Überlegungen Rolf Robischons in Form von Problematisierungen implizit mit ein. Natürlich kreisen diese zuallererst um das Verhältnis von Lehrer und Schüler, auch wenn andere Überlegungen, wie zum Verhältnis zwischen Eltern und Kind, ebenfalls Eingang in seine Bücher finden. In dem erwähnten Abschnitt in „Lernen ist wie Atmen“ beginnt er seine Betrachtung mit der Feststellung, dass die beiden Begriffe untrennbar zusammenhingen und dass es ohne Unterwerfung keine Macht gebe. Er führt dabei Unterwerfung synonym für Gehorsam an und begründet dies damit, dass das Wort Gehorsam denen, die gerade Macht ausüben, lieber sei als Unterwerfung, da es wertvoller klinge. Die negative Tönung, die das so veränderte Begriffspaar damit erhält, scheint ebenso wie der der Satz „Die Lehrkraft übt Macht aus, bestimmt den Umfang der Informationen, bestellt Aufgaben, verhängt Strafen, teilt Belohnungen aus, stellt Bewertungsskalen auf“ dazu geeignet, Robischons Verhältnis zu diesen Begriffen zu dokumentieren. Auch wenn er schreibt, Macht würde „für notwendig gehalten und damit (...) Unterwerfung in Kauf genommen“, scheint es, als ob er diesen Begriffen durchweg kritisch gegenüber stünde. Im weiteren Verlauf seiner Argumentation jedoch wirft er die Frage auf, was Menschen dazu bringe sich zu unterwerfen und bietet als eine Lösungsmöglichkeit an, dass Macht Stärke und Stärke Schutz bedeuten könnte und Menschen sich Schutz wünschten. Deshalb würde sich eine schützende Macht auch länger halten als eine bedrohende. Wenn man dies nun mit Rolf Robischons Ideen zu Aggressionen und Angst vergleicht, nach denen der Lehrer eine Schutzfunktion für desorientierte Kinder hat, scheint es hier, als sei auch ein positiver Aspekt von Macht angesprochen. Allerdings relativiert die letzte Frage, ob eine Mauer Bedrohung oder Schutz sei, diese Ansicht wieder und lässt, da sie nicht beantwortet wird, den Leser im Unklaren darüber, ob hier die Schutzfunktion des Lehrers gemeint war oder nicht. Sicher ist jedoch, dass hier eine vielschichtige Bewertung und Definition von Macht und Gehorsam in wenigen Zeilen gegeben wird. Um diese nun abschließend übersichtlich darstellen zu können, soll hier die Definition von Macht, wie sie French und Raven in ihrer Studie von 1959 vornehmen, herangezogen werden, um Rolf Robischons Standpunkt zu ihren einzelnen Aspekten zu zeigen. Macht lässt sich dem Schema der erwähnten Autoren zufolge auf fünf Machtbasen zurückführen: Dies sind die legitime Macht, die Macht durch Belohnung, durch Zwang, durch Identifikation und durch Wissen. Die erste Form stützt sich auf die Anerkennung durch andere und deren Akzeptanz der Macht. Sie ist somit eine Form von Autorität und Rolf Robischons Verhältnis zu ihr wird unter Punkt 4.1.2.1 diskutiert. Die Formen der Macht, die auf Belohnung oder Zwang basieren, lassen sich zu einem Punkt zusammenfassen, da sie in seinen Büchern oft im Zusammenhang eines Satzes genannt und gleichermaßen kategorisch abgelehnt werden. Für die Gründe seiner Ablehnung dieser Macht vgl. das Kapitel 2.1.3 „Kritik am Menschenbild der traditionellen Schule“. Macht durch Identifikation bedeutet, dass die gehorchende Person dies aufgrund von Verbundenheit mit der machtausübenden Person tut. Vor allem die Mutmaßung einiger Schulräte, die Kinder lernten und arbeiteten bei Rolf Robischon wegen seiner Freundlichkeit freiwillig, von der er in „Lernen ist wie Atmen“ berichtet, zielt in diese Richtung. Er schreibt dazu, dass man Kinder nicht zum Lernen verlocken müsse. Eine solche Verlockung erscheint angesichts seines Prinzips des Lerndranges, in diesem Zusammenhang auch unnötig. Die letzte Form der Macht, die Macht durch Wissen, ist bereichsspezifisch. Der Machtausübende verfügt über ein spezielles Wissen, das rechtfertigt, weshalb er Macht ausübt. Diese Macht ist allerdings auf das Feld seiner Sachverständigkeit beschränkt. Wo sich Menschen dieser Sachverständigkeit unterordnen, kann wiederum von Autorität im Sinne von legitimer Macht die Rede sein. Rolf Robischon kritisiert aber, dass in der Erziehung diese Machtinhaber ihre Befugnisse überschreiten. In diesem Zusammenhang schreibt er ironisch: „Mami weiß, was du jetzt brauchst. Papi, Oma und Opa auch. Und die Berufserzieher, die Familienrichter, die Polizei, die verantwortungsvollen Politker. Ihnen erging es ja schließlich auch so. „Erziehung“ muss halt sein.“ 3. Pädagogische Ideengeschichte Neben der in Kapitel 2 skizzierten Geschichte des Konstruktivismus, in der Rolf Robischons Ansichten ihre Wurzeln haben, existiert eine weitere, ebenfalls für diese Arbeit relevante Geschichte, die der Pädagogik. Viele der Ideen, die hier besprochen wurden, lassen sich bei bekannten und weniger bekannten Reformern und Vordenkern wiederfinden, auch wenn sie jeweils unterschiedlich begründet worden sind. Daneben exisitieren auch ganze Erziehungssysteme, die Ähnlichkeit mit Robischons Theorie aufweisen. Dabei soll keine geschichtliche Abhängigkeit dieser Denksysteme postuliert werden, auch der Begriff Tradition soll nicht darauf verweisen, dass sich Robischons Denken in irgend einer Weise aus den hier erwähnten Systemen rekrutiert. Die Aufgabe des nachstehenden Kapitels soll es vielmehr sein, Vertreter einer Pädagogik zu finden, die in ihrer Denkweise Rolf Robischon nahestehen, auch wenn diese anderen Ursprungs sein mag. 3.1 Frühe Spuren In der Geschichte der Pädagogik sind viele Ideen der Pädagogik Rolf Robischons schon früh gedacht worden. So findet man z.B. bereits bei den Stoikern die Begründung der menschlichen Freiheit aus dem Wesen des Menschen heraus, oder bei Sophokles, die Einsicht, dass die Grenze der Erziehung im Menschen selbst liegt. Allerdings sind diese Ideen in Systeme eingebunden, die ansonsten so weit von Rolf Robischons entfernt stehen, dass sich hier, ohne Verletzung der Sorgfaltspflicht, keine pädagogische Tradition konstruieren lässt. Trotzdem sind diese Ursprünge für die abendländische Erziehungskultur insgesamt so prägend gewesen, dass sich eine Methode wie die Rolf Robischons erst auf diesen Fundamenten (natürlich in Vereinigung mit denen der Epistimologie) entwickeln konnte. Da aber die allgemeine Geschichte der Pädagogik hier nicht Gegenstand der Untersuchung ist, muss an dieser Stelle auf eine Darstellung der einzelnen Ideen verzichtet werden. 3.2 Rousseau und die „Entdeckung der Kindheit“ In seinem Buch „Geschichte der Kindheit“ entwickelt Philippe Ariès die These, dass das Kind erst durch die Entwicklung einer Kernfamilie im 15./16. Jahrhundert allmählich nicht mehr als kleiner Erwachsener sondern eben als Kind wahrgenommen würde. Treml schreibt, dass in dieser Zeit, sowohl das Ferne, als auch „das Nahe (das Individuum, das Kind, das Ich)“ in den Mittelpunkt rückten. Die tatsächliche „Entdeckung der Kindheit“, wie Ariès es nennt, findet dann wiederum in der Zeitperiode des 17./18. Jahrhunderts statt. Hier ist nun der Ausgangspunkt einer Erziehungsphilosophie „vom Kinde aus“ zu sehen, wie sie später genannt werden soll. Ihr größter Vertreter ist Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), der von vielen eben als jener „Entdecker des Kindes“ identifiziert wird. Dabei sind es vor allem zwei Annahmen, die ihn als Vordenker für eine Pädagogik wie die Rolf Robischons erscheinen lassen und die sich gleichsam als roter Faden durch den Rest dieser Geschichtsbetrachtung ziehen. Die erste Annahme ist seine These, dass der Mensch von Natur aus gut sei, dass er gut geboren werde. Diese Feststellung wird von Rolf Robischon so nicht getroffen, jedoch schreibt er wiederholt, „Es gibt keine schlechten Kinder.“ Es ist aber davon auszugehen, dass Robischon diese Ansicht Rousseaus entweder teilt, da er ja der angeborenen Struktur des Kindes zur Verwirklichung verhelfen will, oder aber einfach keine Bewertung anlegt, da diese immer im Ermessen des Betrachters liegt. Wo Rolf Robischon von der individuellen Struktur des Kindes spricht, heisst es bei Rousseau, „jeder Geist hat seine besondere Form“. Die Frage, heute wenig beachtet, ob ein Kind gut oder schlecht ist, macht einen großen Unterschied im Erziehungsauftrag aus. Im letzteren Fall besteht die Aufgabe des Erziehers darin, das Kind vom Bösen fernzuhalten, ja sogar es ihm auszutreiben, im ersteren muss der Erzieher lediglich dem bereits Vorhandenen zur Entfaltung verhelfen. Deshalb ist die zweite Annahme oder vielmehr Theorie, die sich aus der ersten ableitet, die der negativen Erziehung. Rousseau entwirft hierbei als erster das Bild der gestalteten Umwelt, der Lernumgebung, die dazu dient, die Anlagen des Kindes zur Entfaltung zu verhelfen. So sieht er denn auch als die drei Erzieher des Kindes die Natur, die Menschen und die Dinge. Im Unterschied zu Rolf Robischon gewichtet er aber die Natur und die Dinge sehr stark und sein Roman „Emile“ ist durchzogen von einem Kulturpessimismus der stärksten Ausprägung. Auch behauptet Rousseau, er würde mit der negativen Erziehung nichts anderes tun, als alle Erziehung von Emile fernhalten, was natürlich nicht der Fall ist, da negative Erziehung sehr wohl auch Erziehung ist. Wichtig erscheint noch anzumerken, dass Rousseau durch die negative Erziehung auch eine Erziehung durch Erfahrung postuliert, wie sie bei Rolf Robischon u.a. im „Lernen durch Fehler“ Ausdruck findet. 3.3 Friedrich Fröbel Das entscheidende Element der Robischon-Pädagogik, dessen Grundlage Rousseau formulierte ist die Selbsttätigkeit im Lernprozeß, das Lernen durch Erfahrung. Deshalb soll hier als Nächster, in der gedachten Linie zwischen Rousseau und Robischon, Friedrich Fröbel (1782- 1852) erwähnt werden, der diesen Grundsatz in seinem Denken durch die Idee des Wirkens, Tuns und Schaffens mit klarem Bewusstsein und freier Selbstbestimmung verfolgte. Natürlich sind die Begründungen seiner Ideen keine konstruktivistischen, allerdings finden sich erstaunliche Paralellen zwischen ihnen und denen Rolf Robischons, vor allem wenn man bedenkt, dass Fröbel sie bereits vor über 200 Jahre dachte. So geht er, wie oben erwähnt, von einem Bildungs- und Tätigkeitstrieb des Kindes aus, analog zur Idee der Selbstorganisation bei Rolf Robischon. Ihm ist die Erkenntnis geschuldet, dass das kindliche Spiel nicht nutzlos verbrachte Zeit, sondern ein Lernvorgang ist, wenn er z.B. schreibt „Die Arbeit beim Erwachsenen ist beim Kinde Spiel.“ Folgerichtig entwickelt Fröbel eigenes (Spiel)Material, wie z.B. seine Erkenntnisformen oder andere sogenannte Gaben, an denen Kinder geometrische Formen und weitere Eigenschaften erkunden können. Die Paralelle zu Rolf Robischon wird vor allem im Mathematikunterricht deutlich, in dem dieser ganz ähnliche Materialien anbietet, wie im nachstehenden Kapitel über Mathematik gezeigt wird. Fröbel sieht weiter als Grundlage der Entwicklung die Weltbegegnung mit Personen und Dingen, analog dazu kann man Rolf Robischons Konzept der Kommunikation mit der Umwelt als Grundlage des Lernens verstehen. Zum Schluß sollen hier noch zwei Zitate beider Pädagogen zum Lehrerverhalten, die Ähnlichkeit beider Ansichten dokumentieren. Bei Friedrich Fröbel heißt es: „Beantwortet ihm (dem Kind) auch durchs Wort nicht mehr, als es ohne ein Wort sich selbst beantworten könnte und gebt ihnen die Bedingungen, die Antworten aus dem Kreise ihrer Einsicht selbst zu geben.“ Und bei Rolf Robischon: „Ich helfe, wenn ich gefragt werde.“ und „Der Lehrer steht als Schutz, als Gesprächspartner zur Verfügung. Und er sorgt für Lernmaterial und Milieu.“ 3.4 Einschub: Lew Tolstoi Der russische Adlige, Graf Lew Tolstoi (1828-1910), soll hier am Rande Erwähnung finden, da sein pädagogisches Denken in Bezug auf Freiheit und Lernen durchaus geeignet ist, um ihn als Vordenker einer Lernform wie der hier diskutierten erscheinen zu lassen. Tolstoi war stark beeinflusst von den Ideen Rousseaus und er unternahm vor der Eröffnung seiner Schule Bildungsreisen, in denen er unter anderem Friedrich Fröbel besuchte. Tolstois Verdienst, der ihn auch mit Rolf Robischon verbindet, ist weniger in seiner Art zu unterrichten zu sehen, als in seinen Ideen und seiner Organisation. So lernen Tolstois Schüler z.B. nach der Buchstabier-, anstatt nach der Lautiermethode, was den Ansichten Rolf Robischons völlig entgegenläuft. Wendet man aber die Aussage Tolstois „daß die einzige Grundlage der Erziehung die Erfahrung und ihr einziges Kriterium die Freiheit ist“ auf die Konzeption Rolf Robischons an, so wird die Anschlußmöglichkeit deutlich. Vor allem der revolutionäre Gedanke, dass Kinder dem Unterricht nach Belieben beiwohnen und ihn jederzeit wieder verlassen können, zeigt die Konsequenz seiner Freiheitskonzeption. Was den Lehrer betrifft, so waren die Kinder in Jasnaja Poljana182 vollkommen selbstbestimmt und so Tolstoi sah deshalb seine Rolle auch in erster Linie als Partner und Helfer. Im Unterricht dagegen sorgen die Schüler selbst für Ordnung. Ihr „hehrstes Glück im Leben“ sah er in Selbständigkeit und Freiheit und folgerichtig war für ihn das Ziel der Bildung auch nicht die Auslese, sondern eine den verschiedenen kindlichen Persönlichkeiten angepasste Bildung. 3.5 Maria Montessori Maria Montessori (1870-1952) ist sicherlich die heute noch populärste Vertreterin der Pädagogik „vom Kinde aus“ und dass der Ausdruck bei ihr nicht nur Phrase ist, zeigen die umfangreichen Überlegungen, die sie sich zum Kind und zur Kindheit machte. Sie ist die erste Pädagogin, bei der nicht nur die Grundlagen ihrer Lehre, sondern auch das System an sich demjenigen Rolf Robischons ähnelt. Die zentralen Begriffe ihrer Pädagogik sind die Deviation und die Normalisation, Begriffe, die ihre Entsprechung in Rolf Robischons Konzept von Desorientierung und Orientierung haben. Das „normalisierte Kind“ ist fähig, seine unabhängige Persönlichkeit zu entfalten, mit seinen Begabungen, Interessen und Stärken. Es arbeitet gerne und mit Freude, ist zu gegenseitiger Hilfe genau so fähig, wie zur Stille und zur Einzelarbeit. Deviationen zeigen sich durch Entmutigung, Abhängigkeit von Belohnungen, Besitz- und Machtstreben, Aggressionen und dergleichen mehr. Analog zu Rolf Robischon kritisiert sie die Vorstellung, die kindliche Seele sei „ein leeres Gefäß, das mit einem Inhalt erfüllt werden muß“. Deshalb baut sie ihren Unterricht auf das Prinzip der freien Wahl der Arbeit auf, indem sie für eine vorbereitete Lernumgebung sorgt. Eine Montessori-Erzieherin beschreibt ihre Arbeit folgendermaßen: „Die Erzieherinnen bieten den Kindern nach Maßgabe ihrer Interessen, Begabungen und ihres Entwicklungsstandes Tätigkeiten und Material an. Das Kind entscheidet frei, ob es ein Angebot annimmt oder nicht.“ Viele der Gebote Montessoris finden sich auch in Rolf Robischons Pädagogik wieder, so z.B. die Forderungen an den Erzieher, arbeitende Kinder nicht zu stören, Kinder die Fehler machen nicht zu korrigieren und Kinder die sich ausruhen oder anderen bei der Arbeit zusehen nicht zur Arbeit anzuhalten. Die Kinder sollen neben der Wahlfreiheit des Gegenstandes auch Bewegungs-, Kooperations-, Kommunikations – und Zeitfreiheit haben, um möglichst selbständig arbeiten zu können. Dabei soll besonders auf die Idee der „offenen Türen“ verwiesen werden, da sich diese im gleichen Wortlaut bei Rolf Robischon findet. Ein Unterschied, der hier noch angeführt werden soll ist die Eindeutigkeit des Montessori- Materials. Es ist so konzipiert, dass es nur „gemäß seiner pädagogischen Bedeutung und Funktion verwendet werden soll.“, ein Gedanke, der ebenso wie die Annahme, dass das Material begrenzt werden muss, „um den ordnenden Geist des Kindes nicht zu überfordern und zu verwirren“ für Rolf Robischon fremd ist. Die Kinder seiner Klasse haben die Möglichkeit, alles verfügbare Material nach ihren Vorstellungen zu nutzen. 3.6 Alexander Neill Bereits mehrfach Erwähnung fand der Gründer der Summerhill-Schule in England, Alexander Neill (1883-1973). Die Idee seiner Pädagogik ist die Selbstregulation, und im Gegensatz zur antiautoritären Erziehung, wie sie in den 1970er Jahren in Deutschland diskutiert wurde, ist sie gänzlich unpolitisch und sogar antirevolutionär, da Neill Gewalt ablehnt. Es handelt sich bei seinem Konzept um eine freie Erziehung, nicht um die Freiheit von Erziehung. Neill begründete keine Unterrichtstheorie, weshalb es auf den ersten Blick fraglich erscheint, weshalb er in diese Reihe von Pädagogen aufgenommen wird. Es ist aber vielmehr sein Konzept von Erziehung, welches ihn hierfür qualifiziert. So geht er, wie alle bisher genannten Personen, vom angeborenen Guten im Kind aus. Diesem zur Entfaltung zu verhelfen, ist Aufgabe des Erziehers, weshalb er und andere keine Verfügungsgewalt über das Kind haben dürfen. Er schreibt dazu: „Die ganze Idee Summerhills ist Befreiung: dem Kind wird erlaubt, seinen (sic) natürlichen Interessen zu leben.“ Der Unterricht in Summerhill ist freiwillig, da Neill, ebenso wie Rolf Robischon, davon ausgeht, dass Kinder von sich aus lernen wollen. Neill kann auf eine eigene Unterrichtstheorie verzichten, da er weiter davon ausgeht, dass ein Kind welches freiwillig lernt, dies auf jede Art tun kann. Die Kinder sind bei ihm, analog zu den Forderungen Rolf Robischons, nicht strikt in Klassenstufen nach ihrem Alter aufgeteilt. Die Regeln in Summerhill werden von den Schülern selbst erlassen, weshalb man hier nicht von einer inhaltlichen Übereinstimmung beider Pädagogen sprechen kann. Allerdings sind die Regeln für Schüler und Lehrer gleichermaßen bindend, was in einem symmetrischen Machtverhältnis wie bei Rolf Robischon resultiert. Interessant ist zum Schluß noch, dass Neill sich zu Lebzeiten mit ähnlichen Vorwürfen wie Robischon heute konfrontiert sah. So wurde er unter anderem gefragt: „Wie sollen sich Ihre Schüler jemals der Plackerei des Lebens anpassen?“ Seine Hoffnung sei, so antwortete er, dass seine Schüler dazu beitragen würden, die Plackerei abzuschaffen. 3.7 Célestin Freinet Célestin Freinet (1896-1966) griff viele Ideen aus bestehenden pädagogischen Konzepten auf und änderte sie für seine Zwecke ab, weshalb er keine ausgearbeitete Theorie, sondern eine Sammlung umgewandelter Reformideen hinterließ. Wichtigste Merkmale seines Unterrichts waren die Abkehr von der Lehrerzentrierung und die Zuwendung zum selbstbestimmten Schülerunterricht. Ähnlich wie in Summerhill bestimmt ein Gremium, in dem Schüler und Lehrer jeweils eine Stimme haben, Regeln, Inhalte und dergleichen. Die Kinder arbeiten selbständig in den verschiedenen Themenecken, sogenannten Ateliers, die das Klassenzimmer bietet. Hier kann auch wieder von einer Lernumgebung gesprochen werden. Ein Element der Schulausstattung ist die Druckpresse, damit sollen die Kinder in ihrer Korrespondenz gefördert werden. Schrift ist also bei Freinet, wie Rolf Robischon sagen würde, eine Kommunikationsform, keine Kulturtechnik. Eine Form des Unterrichts bestand bei Freinet – ebenso wie bei Rolf Robischon – aus Exkursionen und Erkundungen in die dörfliche Umgebung. Die Ziele seiner Pädagogik waren die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder, die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt, die Selbstverantwortlichkeit des Kindes und die Kooperation und die gegenseitige Verantwortlichkeit. 3.8 Neueste Einflüsse Neben Célestin Freinet und Alexander Neill wären sicher noch einige Pädagogen aus der gleichen Epoche von Ende des 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu nennen, die ähnliche Ideen dachten. Für diese Arbeit mögen aber diese zwei Pädagogen, als die m.E. den Ideen Robischons am nächsten stehenden genügen. Anstattdessen sollen hier noch zwei weitere Personen aus unserer Zeit genannt werden, die Einfluss auf die unterrichtliche Praxis Rolf Robischons hatten. Zu beachten ist, dass es sich hierbei um den ersten tatsächlichen Einfluss handelt, während alle vorangegangenen Beziehungen lediglich aus der gemeinsamen Ideengeschichte im Nachhinein konstruiert wurden. Die Methode des „Lesen durch Schreiben“, des Schweizer Pädagogen Jürgen Reichen fand Eingang in Rolf Robischons Konzept zum Lesen und Schreiben. Im Mittelpunkt dieser Methode stehen die Selbsttätigkeit des Kindes, dessen Kreativität und Freude am Schreiben. Ausgangspunkt für das Lesen ist eine Anlauttabelle, wie sie in ähnlicher Form auch in „Lesen und Schreiben“ von Rolf Robischon vorkommt. Die Kinder lernen nicht zunächst gemeinsam Buchstaben, dann einfache Wörter und später kurze Sätze auswendig, sondern sie können mit Hilfe der Anlauttabelle selbst Buchstaben/Laute finden und schreiben. Auf der Tabelle ist zu jedem Laut ein Bild zu sehen, mit dessen Hilfe das Kind den bzw. die entsprechenden Buchstaben schreiben kann. Wenn es nach einiger Zeit die Buchstaben verinnerlicht hat, bedarf es der Anlauttabelle nicht mehr. Wichtig bei Jürgen Reichen ist auch die Selbststeuerung der Kinder beim Lernen. Dabei hat jedes Kind so viel Zeit zur Verfügung, wie es zum Lesen und Schreiben lernen braucht, der Schwerpunkt der Methode liegt auf individuellem Lernen durch Einsicht. Reichens Unterricht gibt weiterhin Anregungen zum Schreiben, baut Brücken zur Mathematik auf, befasst sich mit Wortschatzerweiterung und Begriffsbildung und fördert die Denkerziehung. Das Konzept Jürgen Reichens wurde von Rolf Robischon so umgearbeitet, so dass es seinen Vorstellungen entsprach. Dabei behielt er die Selbststeuerung beim Lesen und Schreiben bei. Methodisch wurde die Idee der selbstgesteuerten Ableitung der Laute von Bildern auf Worte erweitert, so dass Kinder bei Rolf Robischon zuerst Worte schreiben, bevor sie eigene konzipieren. Die Anlauttabellen sind aber als Angebot vorhanden, einerseits als Nikitin- Material andererseits als Vorlage in „Lesen und Schreiben“. Ein zweiter Pädagoge auf den Rolf Robischon verweist, ist Hans Brügelmann. So schreibt er z.B. in „Lernen ist wie Netze spinnen“, dass bei Brügelmann Fehler auch notwendige Schritte der Kinder auf dem Weg die Schrift zu entdecken seien. Vor allem das Entdecken oder Erfinden der Schrift, wie es bei Brügelmann heißt, ist ein wichtiger Aspekt seiner Konzeption. Dabei wird berücksichtigt, dass Kinder sich über ansteigende Erkenntnisstufen nach und nach die Schrift selbst erschließen, dass sie lernen, diese in ihrer Funktionalität zu erkennen und über ein eigenes, an der Lautschrift angelehntes Schriftbild schließlich zur Norm gelangen. Brügelmann verbindet aber noch mehr mit Robischon, denn auch er ist ein Verfechter des konstruktivistischen Lernens. Dabei schlägt ebenfalls eine methodisch-organisatorische Öffnung des Unterrichts vor, um Unterschieden zwischen den Kindern Rechnung zu tragen, sowie eine didaktisch-inhaltliche und pädagogisch-politische Öffnung, bei der die Kinder selbst Material, Umgebung und Partner zum selbstgesteuerten Lernen finden dürfen. 4. Der praktische Ablauf des Unterrichts nachRobischon Nachdem nun die theoretischen Grundlagen des Unterrichts abgehandelt wurden, wird im Folgenden ein Blick auf die Ausführungen Rolf Robischons zu unterrichtspraktischen Themen geworfen. Dazu zählen einerseits sämtliche Handlungsweisen, die er von seiner Tätigkeit als Lehrkraft beschreibt, bzw. Vorgehensweisen, die er Lehrkräften vorschlägt sowie andererseits die Methoden, die er zum Wissenserwerb in den verschiedenen Bereichen anregt. Bevor aber die lernbereichspezifischen Hinweise erläutert werden, soll ein Einschub das Material, welches Rolf Robischon selbst hergestellt hat und welches die Grundlage seines Lese-, Schreib- und Rechenunterrichts bildet, vorgestellt werden. 4.1 Die Stellung und die Aufgaben des Lehrers Der folgende Abschnitt ist in zwei Unterkapitel geteilt, in die alle Ansprüche und Wirklichkeiten einfließen, die sich durch Robischons Praxis als Lehrer ergeben haben. Dabei beschäftigt sich das erste Unterkapitel mit dem Bild des Lehrers, wie er es in seinen Büchern entwirft. In einem zweiten Kapitel wird geklärt werden, wie Robischon dem Fakt an einer staatlichen Schule zu unterrichten Rechnung getragen hat. Dabei finden vor allem die Zugeständnisse und Kompromisse Erwähnung, zu denen die Vorschriften und Auflagen der verschiedenen Gesetze ihn verpflichteten. 4.1.1 Der Lehrer als Lernbegleiter Ein Lehrer, der das Kind nicht als passiven Aufnehmer von Wissen begreift, muss konsequenterweise auch seine eigene Position als Wissensvermittler zugunsten einer eher unterstützenden Position aufgeben. Er muss Lerngelegenheiten organisieren und Erfahrungsmöglichkeiten bereitstellen und freigeben. Dazu gehört neben der Ausbreitung von Material im Klassenzimmer natürlich auch dessen Einkauf bzw. Herstellung. Um den Kindern Anregungen zu geben, und ihnen die Möglichkeiten der Umgebung zu zeigen muss er selbst Beispiel geben. Rolf Robischon beschreibt diesen Teil der Lehrertätigkeit so: „Mit einer Arbeit anfangen und sie sobald wie möglich aus der Hand geben.“ Dabei wird der Lehrer selbst zu einer Lerngelegenheit, dem für diese Aufgabe außerdem noch das Erzählen von Informationen z.B. als Geschichte oder Anekdote, sowie der Wechsel der Umgebung, z.B. durch Besuche in Museum, Zoo oder durch Aufenthalte in der Natur zur Verfügung stehen. Wenn die Kinder eine Frage stellen, so beantwortet Rolf Robischon sie möglichst kurz, oder zeigt, wie man „nach einer Antwort oder Information auf die Suche gehen kann“. Seine Lehrerfragen beziehen sich lediglich auf das Befinden der Kinder, denn „Lehrerfragen sind in der Regel Kontrolle.“ Er muss weiterhin, um die Idee des gleichzeitigen Lernens aller aufgeben zu können, eine „Toleranz für Langsamkeit“ entwickeln, um unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten nicht als Fehler zu mißverstehen. Zudem bietet der Lehrer Schutz, wenn ihn ein Kind braucht, einerseits bei Desorientierungen durch Angst und Aggression, andererseits bei Situationen, in denen ein Kind sich etwas zutraut. Bei Letzterem kann der Lehrer zum Beispiel beim Schwimmen lernen einem Kind vorschlagen, sich untergehen zu lassen, oder, wenn ein Kind sich zu weit ins Wasser wagt es in den flacheren Bereich ziehen und beruhigen. Dabei beschützt der Lehrer auch vor Bewertung, indem er nur positive Rückmeldung gibt. Diese ist weiterhin immer subjektiv formuliert, wie „Das gefällt mir, das finde ich interessant“, um eine vorgeblich objektive Bewertung zu vermeiden. Wichtig im Umgang mit lerndenden Kindern ist für Rolf Robischon auch, dass der Lehrer sie und ihre Arbeit genau beobachtet, damit er seine Arbeitsweise, seinen Umgang und die Lerngelegenheiten auf sie einstellen kann. „Ich schreibe mir auf, was ich über jedes Kind weiß“ schreibt Robischon dazu in „Lernen ist wie Atmen“. Der Lehrer muss auch wahrnehmen, wenn es einem Kind schlecht geht oder es müde ist und entsprechend reagieren, etwa indem er dem Kind vorschlägt, den Kopf auf die Arme zu legen. Zuletzt bietet der Lehrer auch noch den organisatorischen Rahmen, indem das Gebäude aufschließt, Rituale einführt und aufrechterhält und für Transportmöglichkeiten zu entfernteren Lerngelegenheiten sorgt. 4.1.2 Die pädagogische Realität Der Handlungspielraum eines Lehrers in Baden-Württemberg wird begrenzt durch das Schulgesetz und den Bildungsplan auf der einen Seite, auf der anderen muss sich jemand, der ein ungewöhnliches pädagogisches Konzept verfolgt auch mit seinen Vorgesetzten und deren Vorstellung von Schule auseinandersetzen. Ob und zu welchen Kompromissen das im Fall Rolf Robischons geführt hat soll dieses Kapitel klären. 4.1.2.1 Die Frage der Autorität Autorität, wie sie hier diskutiert werden soll, ist ein Machtpotential auf der einen Seite einer Beziehung, das die andere dazu bringt, sich zu unterwerfen. Diese Unterwerfung mag freiwillig sein, wenn es sich um eine Anerkennung fachlicher Kompetenz oder um Bewunderung handelt, sie kann aber ebenso durch die Macht der Autorität erzwungen sein. Natürlich verfügt ein Lehrer, besonders ein Grundschullehrer, immer über eine, den Schülern überlegene, fachliche Kompetenz und somit über die Voraussetzung um eine Autorität zu sein. Anders als in der traditionellen Schule, gestaltet sich diese Autorität bei Rolf Robischon aber nicht als zwingend, da er auf Belehrung der Kinder verzichtet und statt dessen lediglich als Fachmann zu Rate gezogen werden kann. Bündig schreibt er dazu, „Ich helfe, wenn ich gefragt werde.“ Diese Art von Autorität ist auch nicht alleine dem Lehrer vorbehalten, ebenso können andere Kinder Fachleute für etwas sein, wie ein Beispiel in „Lernen ist wie Atmen“ belegt. Ein Junge hatte an die Tafel geschrieben, „VRANK ISTUM“ und wurde dann von dem Fachmann auf dem Gebiet seines Namens, Frank, auf die richtige Schreibweise hingewiesen. In diesen Fällen handelt es sich um ein symmetrisches Machtverhältnis, da aufgrund der vorhandenen Autorität (Kompetenz) keine Macht ausgeübt, bzw. erstere nicht durch letztere etabliert wird. Die Fortsetzung des Beispiels der zwei Jungen ist aber folgende: Rolf Robischon muss eingreifen und erklären, dass er keine Beleidigungen an der Tafel stehen lassen dürfe, weil in der Zeitung auch keine Beleidigungen stehen dürften. Er muss also hier, in seiner Funktion als Lehrer, auf der Einhaltung gewisser Regeln bestehen, um ein gemeinsames Dasein zu ermöglichen. Die Regeln, welche dies bei Rolf Robischon sicher stellen sollen, sind als Verbote und Erlaubnisse konzipiert, wobei nur erstere hier für die Betrachtung relevant sind, da Erlaubnisse nicht der Durchsetzung mittels Autorität bedürfen. Verboten ist es, andere zu beleidigen, ihnen weh zu tun, Angst zu machen oder bei der Arbeit zu stören. Diese Regeln, die ausdrücklich auch für den Lehrer gelten, müssen durch eine Art von Autorität eingesetzt und aufrechterhalten werden, wobei diese sowohl die Gemeinschaft, als auch eine Einzelperson sein könnte. Wichtiger aber ist, und hier stellt sich wiederum die Frage nach der Macht, was diese Autorität im Falle einer Übertretung als Konsequenz folgen lässt. „Ich bestrafe grundsätzlich nicht.“ ist hier Rolf Robischons eindeutiger Grundsatz und er schließt durch diesen schon die Ausübung von Macht zur Aufrechterhaltung der Regeln aus. Für ihn wird ein Mensch durch Bestrafung nicht „geläutert“, sondern, wie bereits erwähnt, zu einem Strafvermeidungsverhalten erzogen. Noch unnützer erscheinen ihm solche Strafen, bei denen die Regelübertretung die Konsequenz einer Desorientierung darstellt, wie sie unter dem Kapitel Aggression beschrieben wurde. Es komme ihm vor, so schreibt er, als wolle man damit „einem Hilferufenden sein Geschrei verbieten.“ Stattdessen setzt er auf die Kommunikationsfähigkeit des Menschen und setzt Disziplin nicht gleich mit Ruhe und Ordnung, sondern eben mit Kommunikationsfähigkeit. Dazu gibt er in seinen Büchern mehrere Beispiele. Einen Jungen, der sich bei ihm beschwert, ein anderer habe mit einem Stock um sich geschlagen, fordert er auf, dies an die Tafel zu schreiben, oder die Aufforderung an jenen, nicht mehr zu schlagen. In einen anderen Streit greift er nicht ein, sondern wartet ab und ermutigt die Kinder weitere Vorschläge zu machen. Das Ergebnis scheint ihn zu bestätigen, wenn er schreibt, die Kinder hätten dann miteinander gesprochen und wären zu einer Lösung gekommen. Auf die Frage, was er getan hätte, wenn es zu Verletzungen gekommen wäre, antwortet er, dass er einen gefährlichen Angriff wahrscheinlich nicht würde ertragen können, er jedoch bis dahin abwarten würde. Wenn man zu früh eingreife, unterbinde man damit eigene Vereinbarungen der Kinder und müsse dies dann immer tun. Auf diese Art sei es aber unmöglich für Kinder herauszufinden, was sie selbst können. Zuletzt muss hier noch auf ein Beispiel von der Internetseite Rolf Robischons verwiesen werden, aus der Dokumentation des Schuljahres einer ersten Klasse. Die Kinder hatten Rechengeld bekommen und sich darum gestritten, weshalb Rolf Robischon es wegräumte. Als er es am nächsten Tag wiederbrachte, schrieb er an die Tafel, dass er sich über den Vorfall geärgert habe. Ob es sich hier bei diesem letzten Fall um eine Strafe handelt, ist schwer zu sagen. Fest steht, dass der Lehrer hier eine Autorität über die Kinder hat, da es sich um „sein“ Geld handelt, das er den Kindern bei Fehlverhalten entziehen kann. Genauso kann er in dem Beispiel darüber, den Zeitpunkt und die Art des Eingreifens bestimmen, um die Streitigkeiten zu unterbinden. Es gibt also Fälle, in denen sich auch Rolf Robischon nicht von der ihm durch den Staat verliehenen Autorität als Lehrer lossagen kann, um größere Übel abzuwenden. Folgt man aber der Logik der Aussage Hans Deißlers, dass Strafe immer die Ehre des Bestraften verletze, dass sie erniedrige, beleidige und beschäme, so kann man bei den angeführten Beispielen trotzdem nicht von Strafen sprechen. Festzuhalten ist, dass Rolf Robischon seine fachliche Autorität nur bei Bedarf auf Anfrage zur Verfügung stellt und wenn andere Kinder kompetent sind, auf diese verweist. Seine Autorität, die sich durch seine Position als Lehrer, die mit Macht verbunden ist, ergibt, stellt er so lange wie es ihm möglich ist zurück. Als Verantwortlicher kann er sie aber nicht ganz ablegen. 4.1.2.2 Die Frage der Benotung Eine Grundschullehrkraft sieht sich in Baden-Württemberg spätestens ab dem dritten Schuljahr mit der Aufgabe Noten zu vergeben konfrontiert. In den zwei Schuljahren zuvor muss sie diese in Form einer schriftlichen Bewertung der Leistung des Schülers vornehmen. Da Rolf Robischon, der für eine notenfreie Grundschule eintritt, an einer staatlichen Schule unterrichtete, soll hier im Folgenden sein Umgang mit dieser Verpflichtung untersucht werden. In „Lernen ist wie Atmen“ benennt er die Gefahr, in die Schulberichte der Erst- und Zweitklässler die Noten in Worte verschlüsselt einfließen zu lassen. Er verweist dabei auf die Paralelle zu Firmenzeugnissen und den Sprachcodes der Personalchefs221. Um diese Formulierungen zu vermeiden, verfasst er die Erstklässlerschulberichte als Briefe an die Kinder. Dabei achtet er darauf, dass er sie in den Berichten nicht kritisiert, sondern ihr positives Verhalten beschreibt. In der Folge kann Rolf Robischon aber, durch die Vorgaben bedingt, nicht weiter auf die Vergabe von Noten verzichten. Deshalb werden unter anderem Diktate geschrieben, bei denen die Kinder jedoch die Wahl der Form haben, z.B. Laufdiktat oder Wendediktat. Anna Diekhans, die ein Praktikum in der Johannes-Grundschule bei Rolf Robischon im Juli 2004 absolvierte, schreibt in ihrem Praktikumsbericht, die Benotung erfolge vor allem durch die Beobachtung der Kinder. So würde das Wissen der Kinder unter anderem anhand der Fragen, die sie stellten festgestellt. Insgesamt kann man sagen, dass der Bereich Benotung keinen eigenen Teil der Robischon Pädagogik ausmacht, sondern ihm, wie oben gezeigt wurde, sogar widerspricht. Der Kompromiss, den Rolf Robischon in seiner Funktion als Beamter eingehen muss, scheint unumgänglich, unklar bleibt jedoch, wie sich eine solche Inkonsistenz im Lehrerverhalten auf das Verhältnis zwischen ihm und den Kindern auswirkt. 4.2 Das Robischon-Material Eine offene unterrichtliche Konzeption wie die Rolf Robischons, benötigt andere Materialien als jene, die in der traditionellen Schule Verwendung finden. Weil es aber solches Material, wie es in der Vorstellung des Autors in „Lernen ist wie Netze spinnen“ heißt, zu der Zeit als Robischon seinen Unterricht umstellte noch nicht gab, stellte er sein eigenes Material her. Diese Materialien umfassen sowohl Kopiervorlagen für den Schreib- Lese- und Mathematikanfang als auch für speziellere Themen wie Grammatik und Rechtschreibung. Daneben gibt es auch Arbeitshefte für Kinder, anhand derer sie sich selbst schreiben, lesen und rechnen beibringen können. In den Büchern über seine Arbeitsweise, geht Robischon immer wieder auf die Kopiervorlagen ein und erläutert, wie, wann und warum er diese einsetzt. All diesen Materialien ist gemeinsam, dass sie einen selbsterklärenden Charakter haben. Die meisten Kopiervorlagen (außer denjenigen zu den Themen Grammatik und Rechtschreibung) enthalten zudem keine Arbeitsanweisungen. Hier sollen nun die Bücher zu den jeweiligen Bereichen beschrieben und analysiert werden. 4.2.1 „Lesen und Schreiben“ Das Buch „Lesen und Schreiben“ soll es dem Lehrer ermöglichen, die Kinder in der Klasse selbständig arbeiten zu lassen, weshalb sich auch keine schriftlichen Anweisungen auf den Blättern befinden. Es ist als Kopiervorlage konzipiert und zeigt anfänglich jeweils eine kleine gezeichnete Szene in schwarz-weiss im Format DIN A4. Die Szenen sind überschaubar gehalten und lassen der Fantasie der Kinder genug Freiraum, um Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen herzustellen, da die Zeichnungen von geringer bis mittlerer Komplexität sind und auf kleinste Details verzichten. Blätter, deren Einsatz erst nach einiger Zeit vorgesehen ist, stellen einzelne Elemente der Szene und zusätzlich solche, die mit der gezeigten Situation in Verbindung stehen, jedoch in der Szene nicht zu sehen sind in vergrößerter Ansicht vor. Auf dem gleichen Blatt findet sich dann auch die gesamte Szene, zu der diese Dinge gehören, wieder. Zu Beginn des Buches befinden sich immer jeweils drei Worte auf den Blättern, auf den für später vorgesehenen werden es immer mehr. Die Worte sind in einer serifenlosen Schrift und zu Beginn ausschließlich in Großbuchstaben geschrieben. Ab dem zwölften Blatt gibt es auch Bilder, bei denen kein Wort mehr steht. Zuerst sind dies Wörter, die bereits zu sehen waren, dann sind es solche, bei denen mehrere Bedeutungsmöglichkeiten gegeben sind. Das gibt den Kindern die Möglichkeit, ein eigenes Wort einzutragen. Meist unter, immer jedoch in der Nähe der Worte, befinden sich Kästen, die Platz bieten sollen, das darüber stehende Wort selbst zu schreiben. Die Kästen sind großzügig bemessen, sie sind mehr als doppelt so hoch im Vergleich zu den gedruckten Worten und etwas breiter. Wie bei den Zeichnungen gibt es bei den Kästen eine Zunahme an Komplexität. Zu Beginn sind sie noch als schlichte Vierecke konzipiert, mit der Zeit ändern sich dann die Formen. Auf einigen Blättern hat ein solcher Kasten an einer, oder mehreren Ecken eine Aussparung, wo er eine Zeichnung überdecken würde. Andere Kästen weisen sinngebende Merkmale auf, so ist z.B. auf Blatt 11 ein Fisch im Wasser zu beobachten und der dazugehörige Kasten weist an der oberen Kante eine Kräuselung, die an Wasser erinnert, auf. Oft finden sich solche besonderen Kästen dann ein weiteres Mal auf dem Blatt. Die Form erklärt dann wiederum den Inhalt. Hier werden die Kinder gezielt auf spezifische Formen aufmerksam gemacht, weshalb hier auch von einer beiläufigen Schulung des ästhetischen Sinns der Kinder gesprochen werden kann. Die Bestandteile der Wörter werden in dem Buch nicht nur auf die Buchstaben des Alphabets begrenzt, sondern Rolf Robischon unterscheidet zudem noch Laute wie z.B. „tz“, „au“, „ng“ oder „ei“ und nimmt Worte in denen sie vorkommen schon früh auf. Das erscheint sinnvoll, denn diese neuen Lauteinheiten bestehen nicht einfach nur aus der raschen Aussprache der Buchstaben aus denen ihr Schriftbild sich zusammensetzt, sondern sie bilden eine neue, eigene Kategorie von Lauten. Auch Laute, die unterschiedlich klingen, je nachdem ob sie am Anfang in der Mitte oder am Ende eines Wortes stehen, (z.B. G in Geld, Vogel, Zwerg) werden aufgegriffen. Ab Blatt 47 kommen die Kleinbuchstaben in der oben erwähnten Schriftart hinzu. Sie sind nun schon zu kurzen Aussagesätzen wie „Der Bär weint.“226 gruppiert. Wieder ist eine Progression der Schwierigkeit festzustellen. Nach und nach werden es mehr Sätze und schließlich werden sie gegen Ende des Buches auch länger. Auf manchen Blättern finden sich zusätzlich Gegenstände oder verbildlichte Verben und Adjektive neben der Szene, so dass diese mit erlernt werden können, bzw. die Kinder die Bedeutung des Wortes verstehen. Auf einigen Blättern ist anstatt der Worte jeweils ein kleines Bildchen neben den Kästen zu sehen. Die Worte finden sich dann als Gruppe geordnet irgendwo auf dem Blatt. Das Blatt kann sowohl für den Lehrer, als auch für das Kind Kontrollfunktion haben. Am Schluss des Buches findet sich noch eine sogenannte Anlauttabelle nach Jürgen Reichen, die Rolf Robischon selbst gestaltet hat. Eine Anlauttabelle ist eine Sammlung sämtlicher Laute einer Sprache, neben dem sich die bildliche Repräsentation eines Wortes befindet, welches mit dem jeweiligen Laut beginnt. Dadurch sollen Kinder in der Lage sein, selbst Worte zusammenzufügen oder in ihre Bestandteile zu zerlegen, indem sie die entsprechenden Laute aus dem Wort heraushören und von der Anlauttabelle ablesen. Ergänzt wird das Buch durch kleine Geschichten mit fünf bis sechs Sätzen, sowie Schreibvorlagen in vereinfachter und lateinischer Ausgangsschrift. Im Vorwort des Buches regt Rolf Robischon dazu an, die Kinder, nachdem sie alle Vorlagen bearbeitet haben, ein großes Heft anlegen zu lassen. Es soll „Geschichten-Heft“ heißen und den Kindern Platz bieten, dort die kleinen Geschichten hineinzuschreiben. Dazu sollen sie das zugehörige Bild malen. „Jeder weiß, dass Texte durch Bilder transportiert werden.“ „Lesen und Schreiben“ ist ein Buch, das sich sowohl für den Einsatz in der Klasse, als auch für Zuhause eignet, da sich der primäre Sinn der Blätter wahrscheinlich jedem Kind erschließt. Selbst in traditionelle Schulsituationen lassen sich die Blätter als Übungen integrieren. Problematisch könnte hierbei jedoch sein, dass es sich bei der verwendeten Schrift nicht um die in den Lehrplänen vorgesehene handelt. 4.2.2 „Mathematik-Anfang“ Der „Mathematik-Anfang“ ist ebenfalls eine Sammlung von Kopiervorlagen, die in ihrem Verlauf in der Schwierigkeit zunehmen. Rolf Robischon schreibt deshalb auch im Vorwort, dass die Anordnung etwa so sei, wie er den Kindern die Blätter austeilen würde. Die Blätter sind eine Kombination von Zeichnungen und Zahlen, später finden sich auch gezeichnete Anregungen zum Farbeinsatz, z.B. Mäuse, die einen Farbtopf in der Hand halten auf dem ROT steht. Wie bei „Lesen und Schreiben“ sind diese Blätter selbsterklärend. Auf dem ersten Blatt werden die Zeichen für die Zahlen bis fünf in Verbindung mit zählbaren Dingen gezeigt, um diese Darstellungsweise auf den folgenden Seiten dann der von Würfeln vergleichend gegenüberzustellen. Als erste Grundrechenart wird dann die Addition angedeutet. Dazu werden zuerst Dominosteine dargestellt, deren Zahlendarstellung den Kindern vom Würfel bekannt ist. Durch den Stein drückt sich bereits die Verbindung zweier Zahlen miteinander aus. In der Folge wird auf einem Blatt dann die formelle Schreibweise der Addition gezeigt, jedoch noch ohne das Gleichheitszeichen, das erst auf Blatt 10 eingeführt wird. Einige Aufgaben überschreiten bereits den Zahlenraum bis 10. Zwischen die Blätter zur Addition, die jetzt schon mit drei und vier Zahlen angeboten wird, sind Aufgaben zur einfachen Geometrie eingestreut, wie das Formen und Systeme erkennen und benennen. Auf den Zeichnungen sind dazu freihandgezeichnete Kreise, Dreiecke und Rechtecke zu erkennen, sowie eine gezeichnete Anregung zu Farbgebung oder Systematisierung. Auf Seite 19 vermischen sich Addition und Geometrie, indem eine Additionsrechnung mit drei Zahlen (ohne Ergebnis) in herkömmlicher Schreibweise und mit Formen dargestellt wird. Insgesamt wird viel Wert auf Transferleistungen gelegt, indem immer wieder verschiedene Darstellungsformen gezeigt werden, die dann angewendet werden können. Als nächstes werden Richtungen und der Zahlenstrahl thematisiert wieder gefolgt von Additionsblättern, die die Addition in ihren zahlreichen Facetten anregen. Blätter mit Inhalten zu Richtungen oder dem Zahlenstrahl sind immer wieder vereinzelt zwischen solchen mit Inhalten zu den Grundrechenarten. Der Zahlenstrahl bietet den Kindern die Möglichkeit, die gesehenen Zahlen einzuordnen und das Gelernte in Beziehung zu anderem zu setzen, indem auf manchen Blättern z.B. gezeichnete Schilder am Zahlenstrahl herausragen, die sich vom Kind beschriften lassen, oder Ballons mit Zahlen, die das Kind durch einen Strich am Zahlenstrahl „festbinden“ kann. Zu Richtungen gibt es insgesamt nur zwei Blätter und auf keinem von beiden sind die Bezeichnungen der Richtungen einmal beispielhaft vorgegeben. Auf dem ersten Blatt findet sich zudem noch ein gezeichnetes Männchen, das ein Schild mit der Aufschrift „links“ in der Hand hält, welches aber nach oben zeigt. Dies könnte bei einigen Kinder eventuell zu Fehlschlüssen führen. Auf Blatt 38 beginnt dann die Subtraktion, jedoch zuerst nur auf einem einzigen Blatt. Die dort gezeigten Aufgaben stellen einen gewissen Anspruch an das Kind, da die in Zahlen formulierte Rechnung nur aus dem Minuenden, dem Minus-Operator und dem Gleichheitszeichen besteht. Darüber ist jeweils, in der den Kindern bekannten Darstellungsweise der Minuend mit kleinen Kreisen dargestellt, welche von einem großen Kreis eingeschlossen werden. Einige der kleinen Kreise sind ausgefüllt, um den Unterschied anzudeuten. Bei zwei der Aufgaben wird auch in der Rechnung der Subtrahend angegeben, dafür sind dort in der graphischen Darstellung alle kleinen Kreise gleichfarbig. Auf ähnliche Weise sind auch die nächsten Blätter zur Subtraktion konzipiert, ab dem 47ten Blatt wird auch die formelle Schreibweise benutzt. Einen Zugang über die Erfahrungswelt des Kindes zur Welt der Mathematik bietet das erste Blatt zum Vergleichen von Größen. Verschieden große geometrische Formen sind samt Anregung zum Ausmalen auf dem Blatt zu sehen. Daneben findet sich ein Kasten mit Aussagen zu Größen wie „8 < 10“. Dadurch, dass das Blatt nicht auf eine bestimmte Art bearbeitet werden muss, bietet sich dem Kind die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen den verschieden großen Formen und dem bisher unbekannten Zeichen „<“ in Verbindung mit bekannten Zahlen zu entdecken. Wenn es diese nicht sofort entdeckt, so bietet ihm das folgende Blatt eine weitere Möglichkeit. Dort stehen Aussagen, ähnlich denen in dem eben erwähnten Kasten, jedoch im Gegensatz zu diesem, sind die Spalten mit „größer“ bzw. „kleiner“ beschriftet. Die Progression innerhalb der Aufgaben ist erst durch das Wegfallen des Operators, dann durch die Hinzunahme einer dritten Zahl gegeben. Auf Blatt 67 ist eine kombinierte Aufgabenstellung zu Multiplikation und Division mit zwei. Zu sehen ist jeweils ein Kasten mit einer Zahl, von dem ein Pfeil ausgeht, auf dem „doppelt“ steht, der auf einen leeren Kasten deutet. Von diesem geht wiederum ein Pfeil aus, auf dem „halb“ steht. In den Hinweisen zu Beginn des Buches steht zu diesem Blatt: „Verdoppeln: Das Wort muss an die Tafel geschrieben werden mit einem bildhaften Beispiel (Mengen oder Würfel). Das Wort halb muss nicht erwähnt werden.“ Dieses Beispiel ist sicherlich notwendig, denn auf dem Blatt sind auch zwei Aufgaben, bei denen ein Buchstabe verdoppelt werden soll, was zu der Annahme führen könnte, Zahlen könne man auch verdoppeln, indem man sie hintereinander schreibe. Auf den letzten Seiten des Buches sind Blätter zum Einmaleins von eins bis fünf, sowie das Zehnereinmaleins. Auf dem Blatt sind Gruppen der jeweiligen Zahl zu sehen, wobei die Gruppen die Zahl jeweils ein bis zehnmal beieinander zeigen. Bis zu der Gruppe in der die Zahl sechsmal zu sehen ist, entspricht die Zahlendarstellung der des Würfels. Durch das ganze Buch sind immer wieder Blätter verteilt, auf denen das Kind Ordnungen innerhalb einer Sammlung von Zahlen herstellen kann. Dafür sind z.B. die ersten zwei Zahlen, von den vielen, die es auf dem Blatt gibt, miteinander verbunden. Dem Kind wird so eine Herangehensweise an das Blatt angedeutet. Genauso eingestreut sind Übungen zum Farbeinsatz, meist noch in Verbindung mit Formen. Manchmal sind dabei die Farben bereits mit den Formen verknüpft, indem z.B. das Farbwort in einer Form steht, manchmal gibt es auch nur einen Hinweis der Art: „7 Farben: rot, blau, gelb, grün, braun, lila, schwarz“ Ein Blatt thematisiert schließlich noch Tabellen. Eine der zwei gezeigten Tabellen regt an, die Zahlen von eins bis fünf, die auf der X- und Y-Ebene der Tabelle stehen zu addieren. Die zweite Tabelle zeigt nur auf einer Ebene Zahlen, auf der anderen Buchstaben. Angeregt wird die Darstellungsweise „Zahl Buchstabe“. Im Gegensatz zu „Lesen und Schreiben“ sind Kinder, die mit „Mathematik-Anfang“ arbeiten, stärker auf die Kommunikation mit anderen Kindern angewiesen, die zur gleichen Zeit das gleiche Blatt bearbeiten. Fraglos kann jedes Kind jedem Blatt einen eigenen Sinn geben, jedoch werden viele Irrtümer erst im Austausch mit anderen als solche erkennbar. Die Kopiervorlagen lassen also m.E. nur zwei Möglichkeiten für den Lehrer zu: Entweder er gibt sie als Übungsblätter mit Arbeitsauftrag aus, oder er gibt das Lernen der Klasse im Sinne Rolf Robischons ganz frei. Jeder Versuch, die Blätter bei unveränderter Organisation der Klasse (feste Platzverteilung, beschränkte Kooperation...) einzusetzen, führt wahrscheinlich zu unbefriedigenden Ergebnissen, da entdecktes Wissen sich nicht in der ganzen Klasse verbreiten kann. 4.2.3 „Bärenstarke Grundschulgrammatik“ Anders als bei den beiden bereits beschriebenen Werken, sind die Kopiervorlagen der Grundschulgrammatik nicht dazu gedacht, nacheinander herausgegeben zu werden, da oft ähnliche Inhalte aufeinander folgen. Darauf verweist Rolf Robischon im Vorwort in Bezugnahme auf das Ranschburg-Phänomen. Dieses ist eine, bereits 1902 von dem ungarischen Psychologen Pál Ranschburg bewiesene „Hemmung des Gedächtnisses bei der Reproduktion von ähnlichen Lerninhalten durch Mangel an gestaltlicher Differenzierung.“ Formal ist das Buch in zwei Hauptkapitel geteilt. Den ersten Teil bilden Wortarten, den zweiten Formen und Sätze. Im Unterschied zu seinen anderen Kopiervorlagen sind die Blätter durchweg mit Arbeitsanweisungen oder Anregungen versehen. Der erste Teil beginnt mit Übungen zum Substantiv. Dabei sind einzelne Zeichnungen von Gegenständen zu sehen, unter die das Kind den jeweiligen Namen schreiben soll. Artikel werden durch ein Bild aufgegriffen, auf dem eine Vielzahl von Dingen zu sehen ist, die dann in eine dreispaltige Tabelle eingetragen werden können, in deren erster Zeile jeweils bereits ein Artikel steht. Es folgen Übungen zu gleichlautenden Wörtern, zusammengesetzten Substantiven, Sammelbegriffen, Gegensätzen und Wörtern, die Gefühle beschreiben. Bei dem Blatt zu Gegensätzen wird nicht primär mit Zeichnungen gearbeitet, sondern mit einer Tabelle, in der Substantive stehen, zu denen der Gegensatz gefunden werden soll. Dafür bieten manche Blätter dem Kind Platz, eigene Bilder zu malen, wie das Blatt zu Einzahl – Mehrzahl. Das letzte Blatt zum Substantiv thematisiert scherzhafte Bezeichnungen, wie Langfinger oder Pechvogel und fordert die Kinder auf, eigene Bezeichnungen zu finden. Es folgt ein Blatt zu Pronomen, dem einzigen zu diesem Thema. In zwei Geschichten sollen Kinder für Leerstellen die entsprechenden Pronomen einsetzen. Mit einem Bild, auf dem eine Szene mit Tieren zu sehen ist, die wie Menschen in der Küche arbeiten, werden Übungen zu Verben angeboten. Aufgabe ist es, in die Zeilen unter dem Bild zu schreiben, was die Tiere tun. Drei weitere Blätter fordern dazu auf, Synonyme für Geräusche und für die Verben gehen und sehen zu finden. Jeweils ein Blatt kommt den Themen Vorsilben, Substantivierung und der Nachsilbe „-ung“ zu. Die letzte im Buch angesprochene Wortart ist das Adjektiv. Wieder sollen die Kinder erst Einzelbildern Eigenschaften zuordnen, bevor Übungen zu Gegensätzen folgen. Es werden die Endsilben „-ig“, „-isch“ und „-lich“ mit Sammlungen entsprechender Wörter auf jeweils einem Blatt gezeigt. Zu -ig sollen die Kinder einige Sätze schreiben, die Wörter mit „-isch“ und „-lich“ sollen sie erklären. Übungen gibt es zudem zu zusammengesetzten Adjektiven, Steigerungen, Adjektivierung von Substantiven und andersherum. Ein Blatt kontextualisiert Adjektive, indem es Kinder auffordert, das jeweils passende Adjektiv zwischen Artikel und Substantiv einzusetzen. Der zweite Teil beginnt mit zwei Blättern zum Genitiv, auf denen die Kinder erst einer Person einen Gegenstand, dann einem Gegenstand eine Person zuordnen sollen. Diese Blätter gehören sinngemäß zu den weiter hinten folgenden, auf denen Satzergänzungen zu Akkusativ und Dativ vorzunehmen sind. Der Nominativ wird nicht als Fall sondern als Satzgegenstand behandelt. Es folgen sechs Seiten Übungen zu Verben, bei denen die Kinder Verben nach der Person flektieren, die Vergangenheit, das Perfekt, den Konjunktiv und das Futur bilden, Hilfsverben nach Zeit und Person flektieren sowie Sätze im Aktiv und Passiv formulieren sollen. Die Blätter sind entweder, bei Zeitstufen, tabellarisch konzipiert und mit Überschriften wie „heute – gestern“ versehen, oder bei Flektionsaufgaben als Lückentexte angelegt. Die Blätter zu Konjunktiv und Zukunft zeigen nur Bilder und Linien zum schreiben, mit der Anregung, zu schreiben, was man sich wünsche, bzw. was bei einem bestimmten Ereignis (hier Urlaub) sein wird. Den größten Abschnitt im zweiten Teil bilden die Satzteile. Mit Ergänzungsübungen werden das Subjekt und das Prädikat als solche vorgestellt, gefolgt von zwei Blättern zur Satzumstrukturierung. Rolf Robischon verwendet hier als Konzept Kästen, die die verschiedenen Satzteile umschließen, um funktionelle Einheiten zu kennzeichnen. Bei Orts- und Begründungsfragen, sowie Fragen nach der Art und Weise ist jeweils der Satzanfang vorgegeben, die Kinder sollen den Rest des Satzes ergänzen. Angaben der Zeit werden mit Fragen, bzw. auch durch Satzergänzungen angeregt. Den Abschluss dieser Übungsgruppe bildet ein Blatt auf dem alle Fragemöglichkeiten noch einmal versammelt sind und auf dem Sätze in mehreren Varianten fertig geschrieben werden sollen. Übungen zu den Satzarten umfassen solche zu Aufforderungs-, Ausrufe- und Fragesätzen, sowie zur direkten Rede. Aufforderungs- und Ausrufesätze werden durch eindeutige Bilder veranschaulicht, zu denen das Kind den jeweils passenden Satz schreiben soll. Bei Fragesätzen ist ein Fragewort vorgegeben, das die Kinder zu einem Satz ergänzen sollen, ein nebenstehendes Bild kontextualisiert die Frage. Eine Übung nimmt sich der höflichen Fragen an, indem sie dazu anregt, eine Aufforderung als Frage zu formulieren. Übungen zur direkten Rede umfassen kurze Dialoge, bei denen einmal die Sprecher vorgegeben sind, eine weitere Übung verlangt das Setzen von Satzzeichen. Ergänzende Übungen sind solche zur koordinierenden Konjunktion, bei der zwei Sätze mittels eines vorgegebenen Wortes zu einem zusammengeführt werden sollen, zur Kommasetzung, bei der ein Text mit Kommata versehen werden soll und zu Redensarten und Sprichwörtern, bei denen diese erklärt werden sollen. Zum Schluss gibt es eine Übersicht über die lateinischen Bezeichnungen der Wortarten. Insgesamt gesehen ist dieses Buch das am wenigsten typische für Rolf Robischon, wenn man es mit den bereits beschriebenen vergleicht. Anders als die Blätter zum Lesen und Schreiben sind diese sehr eindeutig konzipiert und weisen auch stets einen klaren Arbeitsauftrag auf. Dadurch werden die möglichen Lösungsansätze eingeschränkt auf die durch die Aufgabenstellung vorgegebenen. Natürlich wird nirgendwo im Buch behauptet, ein Kind könne nicht auch etwas anderes mit dem Blatt tun, als die Anweisung zu lesen und ihr zu folgen. Trotzdem scheinen die Kopiervorlagen weniger speziell für selbstorganisiertes, kooperatives Lernen konzipiert zu sein, als vielmehr für einen Einsatz im gewöhnlichen Deutschunterricht. Eine Erklärungsmöglichkeit wäre, dass das Thema Grammatik nur eine wesentlich eingeschränktere Herangehensweise ermöglicht, da es einer verbindlicheren Logik folgt als die Schrift. Dem Betrachter mag sich z.B. noch die Bedeutung eines Wortes erschließen, wenn ein Kind „d“ und „b“ verwechselt, vertauscht es aber Zeiten oder Subjekt und Objekt o.ä. so kann der Satz zwar syntaktisch korrekt sein, jedoch wird er wahrscheinlich etwas anderes ausdrücken, als das Kind ursprünglich im Sinn hatte. 4.2.4 Geschichtenwerkstatt
Bei der Geschichtenwerkstatt handelt es sich um eine Sammlung von Kopiervorlagen,
befinden sich im Anhang Kopiervorlagen für die verschiedenen Grundschullineaturen. bei denen auf einem weißen Blatt im oberen Viertel jeweils eine Zeichnung zu sehen ist. Die Zeichnungen sind so gestaltet, dass sich daraus eine Szene weiterentwickeln lässt, z.B. ist auf einem Blatt ein Mensch zu sehen, der gerade dabei ist, in eine Höhle zu gehen. Dadurch soll die kindliche Fantasie angeregt und ein Ansatzpunkt für eine eigene Geschichte gegeben werden. Der freie Teil des Blattes ist dann für diese Geschichte vorgesehen. Um Lehrern, die auf Lineatur nicht verzichten wollen, eine Handreichung zu bieten, Auf das gleiche Blatt wird zuerst die Lineatur kopiert und anschließend das Motiv. Die Geschichtenwerkstatt ist das selbsterklärendste Materialbuch. Es ist, für die Robischon- Pädagogik, als Ergänzung zu den zwei „theoretischeren“ Sprachmaterial-Büchern zu sehen. Im traditionellen Schulbetrieb können diese Blätter ohne weiteres eingesetzt werden, zumal die Lineaturvorlagen die Blätter noch vorschriftsmäßig ergänzen können. Ergänzend soll hier noch angemerkt sein, dass sich bei einem eigenen Einsatz der Blätter zeigte, dass das Gros der Kinder einer zweiten Klassenstufe die Blätter auch ohne Arbeitsauftrag zum Geschichten schreiben nutzte. Einige wenige Kinder die dies nicht taten, erkannten, wie ihre Klassenkameraden die Blätter einsetzten und begannen dann entweder selbst zu schreiben, schrieben von anderen ab, oder klagten darüber, dass ihnen nichts einfiele. Der Versuch wurde in vier Klassen einer staatlichen Grundschule in Karlsruhe im Rahmen des Blockpraktikum II durchgeführt. Die Blätter wurden ohne Arbeitsanweisung ausgeteilt, bei Nachfragen der Kinder lautete die Antwort: „Was denkst du, was du damit tun kannst?“ Am Ende der Stunde lasen die Kinder ihre Geschichten vor. 4.3 Die verschiedenen Lernbereiche Trotz, dass sich Rolf Robischon gegen die Aufteilung der Unterrichtszeit in Fächer verwehrt, gibt es natürlich auch in seiner Konzeption unterschiedliche Wissengebiete, wie das Lesen und Schreiben oder die Mathematik. Allerdings ist es ihm wichtig festzustellen, „dass Kinder nicht in Fächern lernen.“ und das Stundenplanunterricht seiner Vorstellung entgegenlaufe. In seinen Büchern erklärt er aber sein Vorgehen in den Bereichen, die er selbst unterrichtete. Im einzelnen sind dies das Schreiben und Lesen (mit Anfangsunterricht), Mathematik (mit Anfangsunterricht), der Heimat- und Sachunterricht, Sport- und Kunstunterricht. Im folgenden soll nun seine jeweilige Herangehensweise an die Gebiete gezeigt und auf Stimmigkeit mit den theoretischen Ansprüchen geprüft werden. 4.3.1 Das Schreiben und Lesen Beim Schreiben und Lesen ist zwischen Anfangsunterricht und fortgeschrittenem Unterricht zu unterscheiden. Für den Schreib- und Lese-Anfang verwendet Rolf Robischon zuerst das unter 4.2.1 beschriebene Material. Im Vorwort zu „Lesen und Schreiben“ bemerkt er allerdings, dass es völlig egal sei, mit welchen Wörtern, Bildern und Inhalten das geschehe. Die Blätter werden den Kindern als Angebote gegeben, was Rolf Robischon folgendermaßen beschreibt: „Ich „gebe“ Kindern das Arbeitsblatt, das heißt, dass ich den vorbereiteten Stapel aus dem Schrank nehme und in der Hand halte. Wenn ein Kind kommt und schaut, was ich da habe, halte ich ihm das Blatt hin. Meistens nimmt das Kind das angebotene Blatt.“ Dadurch, dass die Kinder, solange sie noch nicht selbst lesen können, in der Auswahl der ihnen sonst zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eingeschränkt sind, ist davon auszugehen, dass alle am Anfang dieses Angebot wahrnehmen. Rolf Robischon berichtet jedenfalls nicht von dem Problem, dass sich ein Kind dem Lesen verweigert hätte. Über den Umgang der Kinder mit den Kopiervorlagen schreibt er in „Lernen ist wie Atmen“, dass diese die Wörter meist ohne Aufforderung in die Kästen schreiben. In manchen Fällen kümmern sich die Kinder auch nicht um die Form der Kästen oder den Bezug des Wortes zum Kasten und schreiben die Worte in andere Kästen. „Ganz selten lässt ein Kind diese zusätzlichen Kästen einfach leer. Soll es doch.“ meint er und bestätigt damit den Grundsatz der Selbststeuerung als wichtigstes Element seines Unterrichts. In der Folgezeit erhalten die Kinder jeden Tag wieder ein Blatt, welches sie dann in einem Ordner, ihrer „Eigenfibel“ sammeln. Am vierten Tag, so schreibt er, haben Kinder möglicherweise schon eigene Kombinationen von bereits gesehenen Wörtern entdeckt. Um solche Experimente machen zu können, steht ihnen deshalb von Anfang an auch die Tafelfläche in der Klasse zur Verfügung,. Diese Möglichkeit wird von den Kindern gerne genutzt, wie ein Blick in die Dokumentation des Schuljahres einer ersten Klasse zeigt. Die Kinder schreiben die Begrüßung, ihren Namen und viele Dinge, die sie möglicherweise gerade beschäftigen an die Tafel. Es erfolgt keine systematische Heranführung der Kinder an das Buchstabensystem im Sinne des Alphabets. In der Klasse befinden sich zwar Magnetbuchstaben für die Wandtafel, die Robischon den Kindern gegenüber auch Buchstaben nennt, jedoch werden die Buchstaben weder als Laute noch in ihrer alphabetischen Reihenfolge vorgestellt. Anstattdessen erarbeiten sich die Kinder selbst die Buchstaben und lernen diese als Mundbewegungen, anstatt als Mitlaute kennen. In diesem Zusammenhang spricht er sich auch gegen die Buchstabiermethode aus, da Wörter nicht aus einer Zusammensetzung dieser Laute bestünden und diese Methode ohnehin im vorigen Jahrhundert verboten und von der Lautiermethode abgelöst worden wäre. Wenn die Kinder schon eigene Worte schreiben können, gibt ihnen Rolf Robischon ab und zu auch Blätter aus der „Geschichtenwerkstatt“ oder der „Bärenstarken Grundschulgrammatik“. Diese Blätter bieten einerseits die Möglichkeit zu freien Schreibanlässen, andererseits lernen die Kinder auch nach der Norm zu schreiben. Etwa zur gleichen Zeit kommen auf den Blättern von „Lesen und Schreiben“ die ersten Kleinbuchstaben und Sätze vor. Resümierend sagt Rolf Robischon, dass es nicht darauf ankommt, welche der Blätter des Schreib- und Leseanfangs man zuerst ausgibt. Er unterscheidet auch nicht zwischen leichten und schweren Wörtern, sondern zwischen wichtigen und unwichtigen. Diese Einteilung müsse aber jeder selbst treffen. Diese Unabhängigkeit oder Koexistenz von Wertesystemen ist ein wichtiges Merkmal seines Denkens, dass sich aus der Idee der Eigenverantwortlichkeit ableitet. Als Ausblick auf den weiteren Verlauf des Schreibens und Lesens verweist er auf den „notwendigen und wichtigen Umgang mit Schrift und Sprache: Unterhaltungen führen, streiten oder verhandeln, Mitteilungen schreiben, Geschichten ausdenken und ausschmücken, Sprachbeispiele und Satzteile oder Wortarten trainieren, mit Sprache spielen.“ Der Umgang mit dem Lernen bleibt der gleiche, das Niveau steigt dabei individuell den Wünschen und Bedürfnissen des Kindes entsprechend an. 4.3.2 Mathematik Den Mathematikunterricht beginnt Rolf Robischon mit dem Anschrieb des Datums an die Tafel, was aber auch schon ein Kind getan haben kann. Dann beginnt er mit dem Unterbreiten der Angebote, die in der Anfangszeit zunächst aus seinen Blättern zum Mathematik-Anfang bestehen. In der Folgezeit macht er auch Angebote an der Tafel, in Form von angeschriebenen Aufgaben, die denen im „Mathematik-Anfang“ ähneln, nur dass sie ohne Zeichnungen und inhaltlich natürlich an die jeweilige Klassenstufe angepasst sind. Zum Einsatz kommen auch farbige Steckwürfel, von denen jedes Kind eine gewisse Anzahl erhält. Rolf Robischon schreibt, er selbst beginne dann an seinem Platz zu bauen und die Kinder würden es ihm dann gleichtun. Manche würden dabei zuerst seine Vorgabe nachbauen, andere Eigenes erfinden und manche auch ihre Steckwürfel zusammentun um etwas Gemeinsames zu bauen. Außer den Steckwürfeln gibt es für den Lernbereich Mathematik auch noch sogenannte logische Blöcke, das sind bunte geometrische Formen in verschiedenen Größen, anhand derer logisches Denken, sortieren und Mengen erfassen geübt werden kann. Weiterhin gibt es „Zählrahmen, Würfel, Lernspiele mit Kontrollmuster, magnetische Formen in verschiedenen Farben auf weißen Metallplatten, Holzwürfel mit verschiedenfarbigen Seiten, aus denen Muster nach Vorlagen gelegt werden können, und vieles mehr.“ Diese Angebote liegen in jeder Mathematikstunde auf einem Tisch aus. Wenn Rolf Robischon etwas zeigen möchte, etwa welche Zeichen es gibt, so tut er etwas um dies zu veranschaulichen und spricht dazu. Dies ist ein sehr bemerkenswerter Aspekt, denn hierbei handelt es sich eigentlich um Unterricht, der jedoch in der Form eines Angebotes unterbreitet wird. Kinder, welche das Angebot nicht wahrgenommen haben, können sich sobald sie das wollen mit anderen darüber unterhalten und so von ihren Mitschülern lernen. Deswegen ist unter anderem Kommunikation zwischen den Beteiligten, also zwischen Lehrer und Schülern genauso wie zwischen Schülern, für Robischon gerade im Mathematikunterricht sehr wichtig, da der Gegenstand es voraussetzt, dass man sich auf Wortlaute und Beschreibungen einigt, Vereinbarungen trifft und über gemeinsame Absichten spricht. Anstatt der in der traditionellen Schule üblichen Textaufgaben, schlägt Robischon den Kindern immer wieder vor, zu Zahlen eine Rechengeschichte zu erfinden. Dadurch, so argumentiert er, können die Kinder sehen, dass es sich bei Gleichungen nicht um Aufgaben handelt, „bei denen etwas „rauskommt“, sondern dass es Schreibweisen für Zahlbeziehungen sind.“ Wenn eine Diskrepanz zwischen den zwei Schreibweisen auftritt, wird auch deutlich, dass eine Beziehung zwischen Zahlen nicht stimmig ist. Auf diese Art können die Kinder ihre Ergebnisse selbst kontrollieren. Zuletzt spricht Rolf Robischon noch die Befürchtung vieler Außenstehender an, die Kinder könnten nichts lernen, wenn der Unterricht sich auf das Anbieten von Möglichkeiten beschränken würde. Er beschreibt daher das Verhalten eines kleinen Jungen, der aus dem Angebot immer die Steckwürfel wählte und damit auf dem Boden spielte. Anstatt ihn nun zur Arbeit anzuhalten, wartete Rolf Robischon einfach nur ab, bis er sich irgendwann von alleine daran machte, die Möglichkeiten, die die Mathematik-Angebote noch bieten, zu erkunden. Sobald das Kind merkt, so schreibt er, dass er es wirklich nicht drängelt, lernt es zu suchen, zu experimentieren und zu konstruieren. Hier fühlt man sich beim Lesen unweigerlich an die Beschreibung Alexander Neills erinnert, dessen Schülern, in seiner Schule Summerhill, die Teilnahme am Unterricht freigestellt war. Er berichtet, dass diese ebenfalls eine Zeit der „Genesung“, wie er es nennt, brauchten, um die Bereitschaft wiederherzustellen am Unterricht teilzunehmen. Auch Neill beruft sich darauf auf jeglichen Druck zu verzichten. Allerdings geht Neill davon aus, dass wenn eine solche Lernbereitschaft einmal vorhanden ist, die Lehrmethode zweitrangig sei. Abschließend kann man sagen, dass die hier vorgebrachte Methode sicherlich im Einklang mit Rolf Robischons Theorie ist, aber auch, dass man in der Mathematik, durch zwingende Vereinbarungen, ein ungleich eingeschränkteres Feld vorfindet, als in anderen Fächern. Dies bietet den Vorteil, dass Ansichten der Kinder, die nicht viabel sind, schnell an den intersubjektiven Vereinbarungen scheitern und diese so korrigiert werden. Vor allem aber erscheint es bemerkenswert, wieviel Raum für Kreativität ein solcher Mathematikunterricht bietet, der sonst von den meisten Schülern eher als steril und langatmig bewertet wird. 4.3.3 Heimat- und Sachunterricht Der Heimat- und Sachunterricht wird von Rolf Robischon wortwörtlich aufgefasst. So meint er, dass man für diesen in erster Linie Heimat braucht, welche man vor der Tür vorfindet und Sachen, zu denen man gehen, sie holen, sie sehen und anfassen kann. Zwar schreibt er, dass sich der Name des Faches während seiner Dienstzeit schon mehrfach geändert hat und auch die Inhalte variieren, aber der Name scheint für ihn als Lernfeld akzeptabel zu sein. Allerdings sieht er nicht die Notwendigkeit, dieses als Fach von den anderen zu trennen, sondern er plädiert dafür, alles aufzunehmen, was Kindern wichtig ist und was sie wissen wollen. Diese Heimat, die sich vor der Tür befindet, wird dann konsequenterweise im Unterricht aufgesucht und zwar durch kleine Ausflüge. Dafür schreibt Rolf Robischon an die Tafel, wohin er nun zu gehen beabsichtigt und welche Schwierigkeiten Kinder, die ihn begleiten, auf dem Weg dorthin haben könnten. Ob bei dieser Methode immer alle Kinder mitkommen, darauf geht er nicht ein, jedoch schreibt er, dass die Klasse sich dabei bis über zwei Kilometer voneinander entferne. Auch hier berichtet er nicht von Schwierigkeiten, die sich dabei ergeben haben oder hätten können, jedoch scheint es fraglich, ob er so der ihm auferlegten Aufsichtspflicht in ausreichender Weise nachkommen kann. Auf solche Ausflüge nimmt er Lupen und ein Fernglas mit, allerdings nur so viele, dass die Kinder darüber selbst Vereinbarungen treffen müssen. Wie in jedem anderen Lerngebiet ist auch im Heimat- und Sachunterricht die Kommunikation das wichtigste Element. Die Kinder teilen mit, was sie auf den Ausflügen sehen, erzählen eigene Geschichten zu Dingen, die sie wahrnehmen und diskutieren ihre Erlebnisse. Sowohl der Lehrer als auch die Kinder sind dabei Quellen für Nebengeschichten, wie Rolf Robischon sie nennt. Gemeint sind damit Anekdoten oder eigene Gefühle zu etwas, durch die Beziehungen zu den Dingen ausgedrückt werden. Wenn das Wetter es nicht erlaubt, bleibt er mit den Kindern im Klassenzimmer und stellt Material zur Verfügung. In „Lernen ist wie Netze spinnen“ nennt er als solches Bücher, Karten, Bilder und Tafelaufzeichnungen. Er habe auch selbst schon Material herzustellen versucht, dies aber, auf Grund der bereits vorhandenen Fülle an diesem und weil er manche Dinge gar nicht herstellen könne, wieder aufgegeben. Außerdem, argumentiert er weiter, gehe er lieber zur Wirklichkeit hin. Zum Schluß greift er noch das Problem vieler Schulen auf, die nicht über die Möglichkeit verfügen, eine solche Umwelt einfach aufzusuchen. Seine pragmatische Antwort dazu ist, dass in diesen Fällen die Wirklichkeit eben anders sei oder die Wege zu ihr weiter264. Alles in allem bietet gerade der Heimat- und Sachunterricht, wie er im Bildungsplan von 1994 noch heißt, eine ideale Gelegenheit, auch für Lehrkräfte der traditionellen Pädagogik, eine Öffnung des Unterrichts zu vollziehen. Vieles von dem, was den Kindern vermittelt werden soll, findet sich in der Tat direkt vor der Tür, bzw. kann anhand der Realität nachvollzogen werden. Wo dies aber nicht der Fall ist, muss man sich fragen, ob Kinder überhaupt etwas als Heimat empfinden können, das ihnen nur auf dem Papier nähergebracht wurde. Unzweifelhaft weist hier Rolf Robischons Vorgehen eine Übereinstimmung mit den Ansprüchen seiner Pädagogik auf, denn die Kinder können sich selbstbestimmt über und in ihrer Umwelt orientieren. 4.3.4 Schulsport Im Sportunterricht sieht Rolf Robischon die Aufgabe des Lehrers in der Bereitstellung von Sport- und Spielgelegenheiten, sowie im Hinweisen auf die Mannschaftsaufteilung und die Zeitplanung. Die Gelegenheiten, von denen er berichtet, reichen von Arrangements zur Koordinationsund Orientierungsförderung über klassische Sportgeräte bis hin zu Sportspielen. Schwerpunkte liegen hier vor allem auf den Selbst- und Körpererfahrungsgelegenheiten, die diese bieten. So stellt er unter anderem Langbänke zum Balancieren, Matten zum Springen und Fallen, sowie diverse Klein- und Handgeräte wie Springseile, Gymnastikstäbe, Bälle oder Reifen zur Verfügung. Diese gibt er jedoch so aus, dass sie jeweils nur für mehrere Kinder gemeinsam reichen, damit die Kinder miteinander kommunizieren müssen, um eine gerechte Verteilung zu erreichen. Hier lässt sich von einem Einüben in soziale Kompetenz im Sinne des neuen Bildungsplans sprechen, wo diese unter anderem als die Fähigkeit definiert wird, Konfliktlösungen zu suchen und gemeinsame Vorhaben zu entwickeln und durchzuführen. Von den klassischen Sportgeräten spricht Rolf Robischon den Barren und den Kasten an, wobei sich seine Tätigkeit auch hier nur auf das Anbieten der Möglichkeit beschränkt. Er baut das jeweilige Gerät samt zugehöriger Teile wie Sprungbrett o.ä. auf und sichert es anschließend mit Weichbodenmatten. Auf eine Hilfestellung verzichtet er und schreibt, dass sich sogar die Kinder, die nicht gerne festen Boden verlassen, einen Sprung zutrauen, wenn er nur weit genug weg steht267. Hannelore Waldschütz, die Lehrerin, die im Laufe des Buchs ihre Überlegungen immer wieder als Fragen einwirft, wendet hier ein, viele Lehrer hätten Angst vor der Verantwortung eines Unfalls und fragt Rolf Robischon deshalb, ob er nicht das Risiko der Mitschuld fürchte. Dieser beruft sich als Antwort auf einen Sachbearbeiter für Unfallprävention, der ihm gesagt habe, „dass bei offeneren Arbeitsweisen weniger passiert“ und berichtet dann auch von seiner Erfahrung, dass es an seiner Schule so gut wie keine Unfälle gebe. Bei der Mannschaftsaufteilung spricht er sich gegen das „wählen“ aus, da dabei mit schwächeren Kindern besonders diskriminierend umgegangen werde269. Anstattdessen zeigt er auf die Spielfelder und nennt die Anzahl der Mannschaften und der Spieler pro Mannschaft. Die Kinder können so selbst entscheiden, auf welcher Seite und in welcher Mannschaft sie spielen wollen. Erst wenn die Mannschaftsstärken stimmen, wirft er den Ball ins Spiel270. Wenn ein Kind ein anderes wegschickt, dann beschwere er sich darüber: „Ich will nicht, dass ein anderer einem Kind sagt, wo es hingehen soll.“271 Hier ist einerseits der sozialintegrative Charakter der Mannschaftseinteilung hervorzuheben, andererseits könnten die Kinder auch ungleich starke Mannschaften bilden und müssten dann über ihre Kommunikationsfähigkeit eine Lösung finden. Dies entspricht voll den im Theorieteil der Arbeit diskutierten Grundsätzen. Die Lehrerfunktion der Zeitplanung wird nicht gesondert angesprochen, sie ist jedoch wahrscheinlich ähnlicher Art wie in den übrigen Stunden, man vergleiche dazu insbesondere auch das Kapitel über Rituale. 4.3.5 Kunstunterricht Den Kunstunterricht erwähnt Rolf Robischon in seinen Büchern oft, um seine Kritik am Notensystem der traditionellen Schule zu erläutern. Ein Kind, das benotet werde, so heißt es, arbeite nur noch für die Note und könne das Bild anschließend wegwerfen. Für ihn hat das Fach Kunst aber mit Kreativität eigenen Einfällen, Farbspielereien und Experimenten zu tun und die Werke der Kinder sind dafür Zeugnis. Ein Bild, das eine solch persönliche Handschrift trage, werde durch eine Note nur entwertet272. Weiter argumentiert er, dass er zwar Zeichner sei, aber deshalb kein Experte in Kunst und deshalb die Kinder selbst Experten sein sollen. Sie sollen dadurch, dass sie die Tätigkeiten ausüben, ihr malerisches und zeichnerisches Geschick weiterentwickeln273. Um diese Möglichkeiten bereitzustellen, legt er Papier in Bahnen aus, mit der Bemerkung, dies sei eine Straße, oder ein Bach und legt Zeichen- oder Malmaterial dazu. Die Kinder können wiederum entscheiden, ob sie das Angebot annehmen oder nicht274. Auf andere Formen der Gestaltung geht Rolf Robischon nicht ein, jedoch ist davon auszugehen, dass er nach dem obigen Schema vorgeht und die Materialien samt einer Anregung zur Verfügung stellt. Der Anregung kommt hier eine besondere Rolle zu, deren Wichtigkeit Robischon auch hervorhebt, indem er schreibt: „Beispiele zeigen, vormachen, ja unbedingt“ um dann in Abgrenzung zum traditionellen Kunstunterricht anzufügen: „Gezielte Aufträge geben, bitte nein.“ 4.3.6 Musik Der Musikunterricht wird von Rolf Robischon nur am Rande angesprochen. Von den Lerngelegenheiten, die er hier zur Verfügung stellt, erwähnt er nur den Lernkoffer „Klänge und Geräusche“. Darin enthalten sind zum Beispiel kleine Glockenspiele oder Glasröhrchen, auf denen sich durch verschieden hohe Wasserfüllung unterschiedliche Töne pfeifen lassen. Er schreibt, dass er diesen Koffer zu Beginn der Stunde öffne, ihn auszuräumen anfange und mit den einzelnen Dingen zu spielen anfange. Wie bereits im Kunstunterricht, versteht er auch hier seine Rolle im Ideen geben, zeigen und aus der Hand geben. Zu verweisen ist hier noch auf das folgende Kapitel, insbesondere wegen des musikalischen Rituals des Begrüßungsliedes. 4.4 Abläufe und Rituale Neben den spezifischen Inhalten der Fächer, sind es vor allem die festen Abläufe und Rituale, die den Kindern Maßstäbe bieten sollen, welche er sehr ausführlich in „Lernen ist wie Netze spinnen“ beschreibt. Wenn die Kinder morgens alle eingetroffen sind, werden sie von Rolf Robischon zuerst einmal begrüßt. Diese Begrüßung könne er auch an die Tafel schreiben, sogar am ersten Schultag, weil er immer dazu sage, was und weshalb er etwas tue276. Mit der Zeit schreiben die Kinder die Begrüßung auch manchmal selbst an die Tafel, wie auf der Fotostrecke im Internet zu sehen ist277. Bei besonderen Gelegenheiten, etwa wenn ein Gast zu Besuch ist, oder eine neue Jahreszeit beginnt, wird dies auch an die Tafel geschrieben. Auf diese Begrüßung folgt die Ankündigung, dass Rolf Robischon sich „jetzt da vorne hinsetzen will und zur Gitarre ein Begrüßungslied singen werde.“278 Das Lied zu Beginn ist ein sehr wichtiges Element der Stunde, denn neben seiner musikalischen Funktion markiert es für die Kinder auch einen Einstieg in die Arbeitsphase. Dieses Ritual ist den Kindern so wichtig, dass sie sogar Stuhl und Gitarre für ihn bereitstellen. Den zeitlichen Rahmen markiert eine Lernuhr, deren Ziffern auf herausnehmbaren Klötzen stehen. Um den Kindern diesen Rahmen zu veranschaulichen, dreht Rolf Robischon den entsprechenden Minutenklotz um und teilt ihnen mit, was sein wird, wenn der Zeiger darauf stehen wird. Wenn mit Materialien gearbeitet wird, die im Anschluss verräumt werden müssen, wie z.B. im Musikunterricht der vielteilige Experimentierkoffer, schreibt er einige Minuten vor Schluß auch noch an die Tafel, dass zu diesem Zeitpunkt aufgeräumt werden muss. Er könne sich darauf verlassen, dass dies dann auch geschehe, denn er arbeite ja Die wichtigsten Regeln in der Klasse werden durch die „Erlaubnisse“ und Verbote geregelt, wobei er hervorhebt, dass die Erlaubnisse es seien, worauf es ankomme. Da die Verbote bereits unter dem Kapitel 4.1.2.1 diskutiert wurden, sollen hier die „Erlaubnisse“ Gegenstand der Betrachtung sein. Diese sind wahrscheinlich als Anregung für die Kinder zu verstehen, da sie in ihrer Formulierung einen auffordernden Charakter haben. Die drei Erlaubnisse sind: 1. Immer reden und zusammen arbeiten. 2. Sich immer frei bewegen. 3. Alles benützen, was im Zimmer ist. Durch Punkt eins wird die Wichtigkeit hervorgehoben, die Rolf Robischon der Kommunkation beimisst, die Punkte zwei und drei weisen in Richtung Eigenverantwortlichkeit, wie sie unter 2.2.1.2 diskutiert wurde. Die Erlaubnisse fassen also genaugenommen die Bedingungen zusammen, unter denen Kinder Robischons Ansicht nach selbst lernen können. Alle genannten Rituale und Abläufe, deren Wichtigkeit im Übrigen auch viele Pädagogen der traditionellen Schule betonen, sollen den Kindern einen Rahmen zur Orientierung bieten und ihnen Maßstab sein. Sie bilden das konstante Gerüst, in dem sich das eigene Lernen der Kinder ereignen kann. 4.5 Lernziele Ein Argument, das gegen die Robischon-Pädagogik hervorgebracht wird, ist, dass ihre Unterrichtsform und ihre Ergebnisse dem Zufall ausgeliefert seien und zudem stark abhängig von den jeweiligen Umständen, wie z.B. der Lehrerpersönlichkeit. Rolf Robischon hält dem entgegen, dass jede Kommunikation und Arbeit mit Kindern abhängig von der jeweiligen Persönlichkeit sei285 . Trotzdem stellt sich hier die Frage, ob es etwas gibt, dass er selbst, im Sinne von Lernzielen, in allen Kindern verwirklicht sehen will. In der traditionellen Schule machen die Inhalte der Fächer den größten Teil dieser subjektübergreifenden Lernziele aus, während Rolf Robischon davon ausgeht, dass die Kinder bei seiner Methode so viel lernen, wie ihnen möglich ist. Wo aber jedes Kind nur mit sich selbst verglichen wird, kann es auch keinen kleinsten gemeinsamen Nenner geben. Inhaltliche Lernziele fallen somit theoretisch weg. In der Praxis muss Rolf Robischon auch hier Konzessionen an seinen Arbeitgeber machen und so schreibt er die Themen, die ihm laut Lehrplan vorgeschrieben sind, als Überschriften an die Tafeln und bietet kurze Texte dazu an286. Im Bereich der Werte und Ideen sind es die Kommunikationsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit und die Persönlichkeitsentwicklung, welche er selbst als Ziele seines Unterrichts ausweist287. Dabei sind die ersten beiden untrennbar mit letzterem verbunden, da sie auch personale Kompetenzen bezeichnen. Interessant ist hierbei, dass Rolf Robischon damit intersubjektive Strukturen definiert, indem er Kommunkationsfähigkeit und Beziehungsfähigkeit als menschliche Grundeigenschaften ausweist. Überraschend sind diese Ziele jedoch nicht, sind sie doch klar in Robischons Idee von Unterricht verankert. Man kann hier insgesamt von einer hohen Stimmigkeit zwischen Anspruch und Realität sprechen. 5. Kritik Die Kritik an Rolf Robischons Pädagogik, die im Folgenden ausgebreitet werden soll, lässt sich in zwei Hauptpunkten zusammenfassen: Der erste betrifft die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Postulaten Robischons und des Konstruktivismus und der zweite lässt sich als mangelhafter Einbezug gesellschaftlicher Realitäten zusammenfassen. 5.1 Wissenschaftliche Defizite Ein großes Problem der konstruktivistischen Bewegung ist, dass alle Beweise, die sich für den Konstruktivismus als Begründung anführen ließen, ihrem Charakter nach positivistisch sind, was wiederum dem Postulat der prinzipiellen Unerkennbarkeit der Realität widerspricht. Dazu gehört, dass es sich bei vielen der von Rolf Robischon und vom radikalen Konstruktivismus aufgestellten Grundsätze um Axiome handelt und die anthropologische Basis somit spekulativ und empirisch nicht beweisbar bleibt288. Beispiele dafür sind unter anderem das Prinzip des Lerndranges, das zwar schlüssig dargelegt ist, aber letzlich nicht über den Status einer Theorie hinauskommt, ebenso wie die Behauptung, das Konstruieren sei eine menschliche Grundeigenschaft. Da aber die von der heute dominierenden Wissenschaft eingeforderten Beweise für die Wirksamkeit konstruktivistischer Lerntheorie ebenfalls empirischer Art sein sollen um Akzeptanz zu finden, tun sich hier weitere Probleme auf. Nicht nur, dass solche Beweise für Konstruktivisten (ebenso wie für Anhänger des kritischen Rationalismus) keine Beweise wären – die Lage wird durch die ungenügende Menge an Datenmaterial zusätzlich kompliziert. Ein Grund dafür kann in dem mangelhaften Instrumentarium zur Feststellung von Erziehungszielen gesehen werden. Wie Siegfried Bernfeld in seiner bekannten Streitschrift „Sisyphos“ feststellt, kann man wohl die Güte der Didaktik messen, diejenige der Erziehung lässt sich wegen des fließenden Übergangs von bewusster zu unbewusster Erziehung aber nicht genau bestimmen289. So kann man wohl feststellen, ob die Schüler Rolf Robischons alle auf dem Niveau ihrer traditionell unterrichteten Altersgenossen sind – allein – man wird sich schwer damit tun, eine Aussage über den Grad ihrer Selbstverwirklichung zu treffen. Diese Art von Pädagogik, wie Rolf Robischon sie verfolgt, kann nur durch ein Umdenken in Wissenschaft und Gesellschaft sinnvoll diskutiert werden, was zum nächsten Punkt der Kritik führt, seine Relativierung gesellschaftlicher Realitäten. 5.2 Die soziale Grenze der Erziehung In seinen Büchern weist Rolf Robischon mehrmals auf die seiner Pädagogik zuwider laufende Gesetzeslage und Einstellung der Ministerien hin290. Dabei verbleibt er allerdings zu sehr auf der Mikroebene und gibt zu sehr den Details vor der umfassenden Kritik den Vorrang, als es für ein Vorhaben wie das seine angebracht scheint. So sieht er zwar in der Schule eine Institution, die ein System von Macht und Unterwerfung erhält291, erkennt, dass sich kaum etwas so schwer und langsam verändert wie das Schul- und Erziehungswesen292 und dass dessen Grundsätze den seinigen diametral gegenüberstehen. Bei all dieser speziellen Kritik übergeht er aber den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang. Erziehung ist in erster Linier immer konservativ und dazu geeignet und vorgesehen, gesellschaftliche Verhältnisse zu reproduzieren. Sie ändert sich immer erst, wenn sich die Gesellschaft bereits geändert hat293. Durch die Schule werden, wie Robischon richtig erkennt, Macht- und Unterwerfungsmuster eingeübt, die aber (und hier denkt Robischon den Gedanken nicht zu Ende) unabdingbare Voraussetzung für die Verinnerlichung der scheinbaren Dependenz gesellschaftlicher Hierarchien sind. Dazu gehört auch, dass Noten nicht abgeschafft werden können, weil sie eben auch ein Indikator für die Akzeptanz des Leistungsprinzips sind, auf dem die bürgerliche Gesellschaft beruht. Er übersieht weiter, dass die von ihm abgelehnte Art des „Konsumlernens“ eine unabdingbare Grundvoraussetzung für die Zwangsgesellschaft des Kommerzialismus und Konsumismus darstellt. Die Kinder, so schreibt Bernfeld diesbezüglich, werden wohl gelegentlich zu Feinden der Besitzenden, jedoch nie zu Feinden des Besitzes, da sie durch die Schule die Gelegenheit bekommen, das „leichte Leben“ zu kosten, dem sie später bis zu ihrem Tod nachtrachten. Rolf Robischons Ansatz ist auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene zu wenig weit gedacht. Einerseits werden die Implikationen, die sich etwa aus seinem Freiheitsbegriff ergeben (z.B. Macht schließt Freiheit aus), nicht konsequent genug auf alle Bereiche der Gesellschaft angewendet, andererseits klingen die Vorwürfe die er den vorherrschenden Strukturen und Denkweisen gegenüber vorbringt stets so, als seien diese das Ergebnis von entweder Lernunwilligkeit oder Uneinsichtigkeit. Dass gesellschaftliche Kräfte im Bewusstsein aller relevanten Fakten sich trotzdem ausdrücklich für eine dreigliedrige, leistungsorientierte, fremdgesteuerte Schulform entscheiden würden – diese Einsicht dringt an keiner Stelle seiner Bücher durch. 6. Zusammenfassung und Ausblick Rolf Robischon legt mit seiner Pädagogik ein praxiserprobtes Konzept vor, das es wert ist, in den erziehungswissenschaftlichen Diskurs mit einbezogen zu werden. Die Erkenntnisse und philosophischen Annahmen, die darin Eingang finden, haben ebenso einen Anspruch auf Gültigkeit, wie diejenigen, auf denen das Erziehungswesen bisher basiert. Die Theorie ist schlüssig, wenn ihr auch der Verbund mit einer weitreichenderen Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse gut täte und seine Praxis verwirklicht die Theorie im Rahmen des Möglichen. Dass Schule, wie sie bisher gedacht und gehalten wurde nicht mehr so recht in den Rahmen einer Zivilgesellschaft mit demokratischen Ansprüchen passen will, ist seit langem bekannt. Dies haben nicht nur Mahner von den Rändern der Gesellschaft sondern auch Reformer der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ Anfang des letzten Jahrhunderts schon festgestellt. Auch in diesem Zusammenhang ist es sinnvoll Rolf Robischons Konzept als eine Alternative zur traditionellen Schule zu diskutieren. Aber auch die Arbeitsformen, die er vorschlägt, verdienen Beachtung. Selbstqualifikation, Team- und Kommunikationsfähigkeit sind Kompetenzen, die das neue Profil des Arbeitnehmers auszeichnen und dementsprechend auch von Wirtschaft und Politik postuliert werden. Sollen diese Kompetenzen allerdings nicht zu Lippenbekenntnissen verkommen, ist es notwendig, sich einerseits Gedanken über die Berechtigung eines Schulsystems zu machen, das diese Kompetenzen im Moment nicht aus sich hervorbringt und andererseits muss man untersuchen ob die vorhandenen Alternativen mehr Erfolg versprechen. Meiner Erkenntnis nach ist es wichtig, dass sich Menschen wie Rolf Robischon Gedanken über den Bildungsprozeß machen und nicht nur Mißstände aufzeigen, sondern auch, wie ihnen Abhilfe geschaffen werden kann, denn nur auf dieser Grundlage ist der Fortschritt der Erziehung möglich. Sache der Erziehungswissenschaft wäre es nun, sich seines Modells anzunehmen, es zu untersuchen und mit konstruktiven Vorschlägen dort zu verbessern, wo es die Erwartungen nicht erfüllt. Das setzt allerdings voraus, dass man unvoreingenommen an die Sache herantritt und sie nicht mit einem Begriffsinstrumentarium untersucht, das für ein anderes Erziehungssystem geschaffen wurde. Wie das Beispiel Summerhill zeigt, kann es sinnvoll sein, dafür den gesamten Werdegang eines Menschen heranzuziehen, nicht nur seine momentane schulische Leistung, denn Neills Schüler zeigten sich imstande, eigenständig jeglichen akademischen Grad, den es in England gibt, zu erreichen und zwar vermutlich deshalb, weil er ihnen die Freiheit zum Lernen ließ. Die letzte Behauptung muss unbewiesen bleiben, da in England ebenfalls niemand die konstruktive Auseinandersetzung mit der Summerhill-Schule sucht und man sich staatlicherseits darauf beschränkt, mit häufigen Kontrollen den Leistungsunterschied der Schüler im Vergleich zu Kindern auf staatlichen Schulen festzustellen. Es bleibt zu hoffen, dass Rolf Robischons Pädagogik als eine Ausprägung der konstruktivistischen Lerntheorie aufgegriffen und diskutiert wird, denn ihre Perspektiven sind vielversprechend und verdienen, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt. Wenn Bildung dadurch wieder in den Rang eines hohen, wünschenswerten Gutes gehoben würde, weg von der momentanen Konotation vieler Schüler, als aufgezwungener, unnötiger Ballast, dann wäre damit ein wichtiger Schritt in Richtung einer modernen Bildungsgesellschaft getan. 7. Quellen 7.1 Bücher 7.1.1 Primärliteratur ROBISCHON DkudS: Das Kind und die Schrift. Freiarbeit-Verlag, Lichtenau 1992 Geschichtenwerkstatt: Geschichtenwerkstatt : freies Schreiben in der Grundschule. AOL-Verlag, Lichtenau 2000 Grundschulgrammatik: Bärenstarke Grundschulgrammatik: Wortarten, Formen & Sätze. AOL-Verlag, Lichtenau 1999 Lesen und Schreiben: Lesen und Schreiben: Selbstständig lernen von Anfang an. Didaktische Hinweise: Katharina Flick. AOL-Verlag, Lichtenau 2000 LiwA: Lernen ist wie Atmen: Texte für eine neue Schule, zur offenen Schule, zum entdeckenden Lernen, zu einer grundsätzlichen Veränderung der Sicht auf Schule und Erziehung. Cartoons von Ernst Böse. AOL-Verlag, Lichtenau 1997 LiwNs: Lernen ist wie Netze spinnen – Das Grundschularbeitsbuch. Mitarbeit: Hannelore Waldschütz, Illustrationen von Ernst Böse. AOL-Verlag, Lichtenau 2002 Mathematik-Anfang: Mathematik-Anfang: Selbständig lernen. AOL-Verlag, Lichtenau 2000 7.1.2 Sekundärliteratur Bernfeld, Siegfried: Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1973 Brügelmann, Hans Die Öffnung des Unterrichts muß radikaler gedacht, aber auch klarer strukturiert werden. In: Balhorn / Niemann: Sprachen werden Schrift. Mündigkeit - Schriftlichkeit - Mehrsprachigkeit. DGLS Jahrbuch "Lesen und Schreiben", Bd. 7, S. 43 - 60. . Libelle, Lengwil 1997 Deißler, Hans Herbert: Sinn und Unsinn der Strafe: Eine Orientierung für den konfliktreichen pädagogischen Alltag. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 1981 Flitner, Andreas: Für das Leben – Oder für die Schule?: Pädagogische und politische Essays. Beltz, Weinheim, Basel 1987 French, J.R.P. / Raven, B.H. The bases of power. In: D. Cartwright (ed.), Studies in social power. Ann Arbor. The University of Michigan Press, Michigan 1959 Glasersfeld, Ernst v. Einführung in den radikalen Konstruktivismus. In: Die erfundene Wirklichkeit: Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus. Herausgegeben von Paul Watzlawick Piper GmbH & Co. KG, München 1997 Griese, Hartmut: Sozialwissenschaftliche Vorläufer und Kritik des Konstruktivismus - ein wissenschafts(auto)biographischer Zugang. In: Erwachsenenpädagogik - Zur Konstitution eines Faches. (S. 103 - 123). Herausgegeben von Arnold, Giesecke & Nuiss Schneider, Hohengehren 1999 Heinlein, Markus: Klassischer Anarchismus und Erziehung: Libertäre Pädagogik bei William Godwin, Michael Bakunin und Peter Kropotkin. Dissertationsarbeit an der Universität Würzburg, 1997. ERGON Verlag, Würzburg 1998 Jegge, Jürg: Dummheit ist lernbar: Erfahrungen mit „Schulversagern“. Zytglogge Verlag, Bern 1976 Klemm, Ulrich: Leo Tolstoi: Libertäre Volksbildung – Pädagogische Schriften und Dokumente. Verlag Edition AV, Frankfurt a. M. 2004 Lorenz, Konrad: Die Rückseite des Spiegels: Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1977 Marx, Karl: Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie Im Zusammenhang ausgeweitet und eingeleitet von Benedikt Kautsky. Kröner, Stuttgart 1957 März, Fritz: Personengeschichte der Pädagogik: Ideen – Initiativen – Illusionen. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1998 Maturana, Humberto/ Der Baum der Erkenntnis: Die biologischen Wurzeln Varela, Francisco: menschlichen Erkennens. Scherz Verlag, Bern, München 1987 Maturana, Humberto: Zur Biologie der Kognition: ein Gespräch mit Humberto R. Maturana und Beiträge zur Diskussion seines Werkes. Herausgegeben von Volker Riegas. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990 Mietzel, Gerd: Psychologie in Unterricht und Erziehung – Einführung in die pädagogische Psychologie für Pädagogen und Psychologen. Mitarbeit: Christa Rüssmann-Stöhr. Hogrefe, Göttingen 1993 Neill, Alexander: Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung: Das Beispiel Summerhill. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1969 Popper, Karl: Objektive Erkenntnis: ein evolutionärer Entwurf. Hoffmann und Campe, Hamburg 1984 Potthoff, Willy: Grundlage und Praxis der Freiarbeit. Reformpädagogischer Verlag Jörg Potthoff, Freiburg 1995 Reich, Kersten: Konstruktivistische Didaktik : Lehren und Lernen aus interaktionistischer Sicht. Luchterhand, Neuwied 2004 Schmutzler, Hans-Joachim: Fröbel und Montessori: Zwei geniale Erzieher – Was sie unterscheidet, was sie verbindet. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 1991 Treml, Alfred: Pädagogische Ideengeschichte: Ein Überblick. Kohlhammer, Stuttgart 2005 7.2 Hypertextdokumente Blumstengel, Astrid: Entwicklung hypermedialer Lernsysteme. Dissertationsarbeit an der Universität Paderborn, Juli 1998 Vorliegend als Hypertextdokument unter: http://dsor.uni -paderborn.de/de/forschung/publikationen/blumstengeldiss/ Brandl, Werner: Lernen als „konstruktiver“ Prozess: Trugbild oder Wirklichkeit? Aktualisierte Fassung eines Artikels in: Schulmagazin 5- 10, Heft 5, 1997 Vorliegend als Hypertextdokument unter: http://www.stif2.mhn.de/konstr1.htm Glänzel, Hartmut: Freinet Pädagogik: Über den Zusammenhang zwischen pädagogischen Zielen und Realität im Unterrichtsalltag. Einführung in die Freinet Pädagogik. Vorliegend als Hypertextdokument unter: http://freinet.paed.com/freinet/fpaed.php Praktikumsbericht Juli 2004 Facharbeit von Anna Christina Diekhans bei Thea Stroht am Oberstufenkolleg Bielefeld. Vorliegend als Hypertextdokument unter: http://www.rolf -robischon.de/praktikum-juli2004.htm UNESCO: Die Salamanca Erklärung und der Aktionsrahmen zur Pädagogik für besondere Bedürfnisse. Erklärung der UNESCO-Konferenz vom 7. - 10. Juni 1994 in Salamanca, Spanien Vorliegend als Hypertextdokument unter: http://www.unesco.ch/biblio-d/salamanca.htm 7.3 Sonstige Glasersfeld, Ernst v. Kleine Geschichte des Konstruktivismus. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 8 (1): 9–17, 1997 Klemm, Ulrich: Mythos Schule: Schule als Ort struktureller Gewalt. In: Graswurzelrevolution Nr. 293, November 2004 Ludwig, Sven: Lesen durch Schreiben - eine Methode von Jürgen Reichen. Eine Einführung von Schulen ans Netz e.V. Digitalisierte Version, 2005 Ministerium für Kultus, Jugend Bildungsplan Grundschule 2004. und Sport Baden-Württemberg: in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart Digitalisierte Version, Februar 2004 Robischon, Rolf: Unveröffentlichtes Skript zum Vortrag an der Freien Aktiven Schule Karlsruhe vom 26.04.2006 Schlömerkemper, Jörg: Mathetik – Lernen aus der Sicht der Lernenden. In: Kaiser, Astrid / Pech, Detlef (Hrsg.): Basiswissen Sachunterricht (Bd.4). Schneider, Baltmannsweiler 2004 |