Text aus dem Buch

Unterrichtsplanung/ Milchmädchenrechnung


 
Das Milchmädchen, das sich den weiteren Verlauf so schön ausgemalt hatte, stolperte über ein Hindernis und verschüttete die Milch. 
Lehrkräfte wissen längst, wie schrecklich viele Hindernisse dem von ihnen so schön geplanten Verlauf in den Weg springen können. 
Von den 700 000 Schulstunden, die wöchentlich in Deutschland stattfinden, werden die weit über 90 Prozent Frontalunterricht etwa 
alle zwei Minuten „gestört“ (Rainer Winkel). Wie gehen Lehrkräfte mit diesen Situationen um? Was gibt es für Möglichkeiten? 
Hindernisse platt walzen, geschickt umgehen, unter die Lupe nehmen, stolpern und verschütten? 
Wenn ein Lehrer, eine Lehrerin besonders nett ist, freundlich, glaubwürdig, geschickt im Umgang mit Menschen, 
dann könnte es doch sein, dass die „Abnehmer“ des Unterrichts sich nicht so sehr oder gar nicht dagegen zur 
Wehr setzen. Nach der Aufstellung von Rainer Winkel müssten solche Lehrkräfte ja absolute Raritäten sein. 
Wenn Lehrerinnen und Lehrer gnadenlos autoritär, unerbittlich streng und wachsam wären, 
dürften bei denen kaum Störungen „durchgehen“. 
Gibt es die auch nicht?
Lehramtsstudierende an der Pädagogischen Hochschule Freiburg (nur in Baden- Württemberg gibt es noch die „gute alte“ PH) finden 
im Vorlesungsverzeichnis als mit Abstand häufigste Lehrveranstaltung die Unterrichtsplanung. 
Das soll ihr Rüstzeug sein, wenn sie einmal Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen gegenüberstehen 
und denen etwas „beibringen“ sollen. Wie der geplante Ablauf wirklich 
eingehalten wird, kann schließlich in Lehrproben und bei Beurteilungen benotet werden von der Jury. 
Abweichungen vom Plan bringen Minuspunkte. Wenn Unterricht geplant war, weiß man hinterher, was „dran“ war und 
worauf in der nächsten Klasse oder in der folgenden Schulart „aufgebaut“ werden kann. Eltern leihen sich den Bildungsplan der 
Grundschule aus, um zu überwachen, ob auch der Plan erfüllt wird, damit ihr Kind in der Sekundarstufe bei der 
Planung der 5. Klasse, 6. Klasse usw. „mitkommt“. Eltern geben ihr Kind als eine Art Moped in die Schule. 
Die soll es frisieren, auf Leistung bringen, ausbauen. 
Wenns geht, zu einem Porsche. 
Wenns nicht klappt, war die Arbeit der Lehrkraft nicht in Ordnung (sagen die Eltern) 
oder das Material war minderwertig (sagt die Schule). Eine sehr unfreundliche Darstellung, ich weiß.
Vor ein paar Jahren war ich als erwachsener Experte zum Kindergipfel in Berlin, Workshop Schule, eingeladen und in Freiburg 
zu einem bildungspolitischen Symposion von kirchlichen Jugendverbänden. 
Von der Kritik an der Schule sollen der ruhig die Ohren klingen. 
Mit den Forderungen wird sie sich schwer tun. 
Die Kinder ,  Jugendlichen und jungen Erwachsenen fordern einen Strukturwandel, grundsätzlich. 
Wie das genau aussehen soll, ist ihnen noch nicht ganz klar.
Jedenfalls müssen Mitspracherecht, Selbstständigkeit, Freiheit, die Bedürfnisse der jungen Menschen dabei die Hauptrolle spielen. 
Als Experte dazu befragt, habe ich den ganz einfachen Rat: Lehrkräfte sollten nicht Unterricht planen, 
Abläufe im Voraus festlegen wollen,sondern Lerngelegenheiten organisieren, Möglichkeiten bereitstellen und freigeben. 
So eine Arbeitsweise wünscht sich die Wirtschaft als „kooperative Selbstqualifikation“, 
das selbstständige Zusammenfinden von Teams, das Konstruieren von Möglichkeiten, 
das Finden von Vereinbarungen, das Erkennen von Irrtümern und ungeeigneten Konstruktionen und all das in ständiger Kommunikation.
Ich lasse so Kinder vom ersten Schultag an arbeiten. 
Dazu müssen sie nicht angeleitet werden. Kinder nicht daran zu hindern ist viel leichter, als sie 
zu etwas veranlassen zu wollen, was sie von selber nicht getan hätten. 
Das ist ein grundsätzlicher Strukturwandel. Er ist so einfach. Man muss nur das alte Rezept wegwerfen. 
Ich höre die Einwendungen: Aber dann wird nicht erreicht, was erreicht werden muss. Einspruch: Auch die Forderungen der Kinder 
und Jugendlichen sagen es deutlich. Sie wollen viel mehr als das, was es jetzt gibt: Unterricht als Belehrung, der Reihe nach in kleinen oder 
größeren Bröckchen, 45 Minutenweise, weil man mehr nicht aushält, ist der Eintopf mit Esspflicht. Kinder, 
denen Lerngelegenheiten zur Verfügung gestellt werden, lernen dazu soviel sie nur können.                              Rolf Robischon

 

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