Lieber Herr Robischon, 
der Besuch in Ihrer dritten Klasse hat mich sehr beeindruckt. 
Selbstbestimmte Kinder beim eigenverantwortlichen Lernen zu 
beobachten, das kenne ich aus meinen Erfahrungen in Montessori- 
Einrichtungen (Kindergärten wie auch Schulen – Maria Montessori 
hat das sowieso nicht getrennt in ihrer Sichtweise der kindlichen Lernprozesse). 

Was mir bei Ihrer Arbeit jedoch darüber hinaus besonders gefallen hat, 
war die Abwesenheit der didaktisch-methodischen Absicht (nicht des Zieles!). 

Wenn Kinder fragen: Keine superschlauen Lehrer-Rückfragen, 
kein „ich antworte dir nicht, aber versuch es doch mal so...“ 
Kein Fehleraufzeigen. Statt dessen ein sehr respektvolles und 
dabei humorvoll zurückhaltendes Eingehen auf das Kind und 
eine kurze Antwort auf die gestellte Frage. 

Wenn Kinder nicht wissen, was sie tun wollen oder wie eine 
Aufgabe zu verstehen ist: kein schwungvolles „komm, ich zeig es dir“, 
kein unterschwelliges „wie, das kapierst du nicht?“, sondern höchstens 
die Frage: „Was kann man damit machen?“ 

Wenn Kinder unruhig sind, „stören“ (Das Angstgespenst jedes Lehrers, 
auch meines natürlich: der Unterricht gerät außer Kontrolle, das Geschehen 
entgleitet mir, ich muss die Zügel in der Hand halten ...): Ihr geduldiges 
Abwarten, bis Kinder ihre Anliegen geklärt haben, auch wenn diese nichts 
mit dem Schulstoff zu tun haben (außer dass in den normalen Schulen jetzt 
Konfliktklärung, Umgang im Team, Verhaltensregelung usw. in den Lehrplan 
erhoben werden muss!) 

Ich habe gesehen, wie die Gruppe der Jungen sich auf dem Sofa gebalgt haben. 
Einer hat sich mächtig die Nase angestoßen. Ein anderer, der kleine P., 
ist beinahe in einen echten Streit hineingerutscht. Während des Geraufes 
habe ich mich erinnert an meine eigenen Erfahrungen in dem Alter, Kämpfchen 
unter Freunden, um die Kräfte zu messen, Rangordnungen zu klären, seinen Körper 
zu spüren. Es war eine angenehme Erinnerung, auch wenn ich damals sicher eher 
vorsichtig und kein Raufbold war – wie sicher einige der Jungens hier auch. 
Mein Eindruck war, dass sie das wirklich brauchten in diesem Moment. 
Danach kehrte dann ja auch wieder eine ganz andere Atmosphäre ein, und 
alle wandten sich ihren Mathematikarbeiten zu. 

Beeindruckend, wie sie dann tatsächlich fast alle eigenständig Aufgaben aus 
dem Arbeitsheft Matheprofi heraussuchten, die sie lösen konnten. Oder wie 
sie sich gegenseitig weiterhalfen. Es gab ja nun wirklich keine Erklärungen 
Ihrerseits, keine motivierenden Hinweise, kein Drängeln bei den Langsamen, 
kein Bremsen bei den ganz Schnellen, keine Anzeichen von Stoffdruck. 
Ich spüre ganz viel Vertrauen in die Lernfähigkeit der Kinder, in ihren Lernwillen, 
ihren Lernhunger. Da trifft sich Ihre Pädagogik wieder mit der von Maria Montessori, 
die auch davon ausging, dass Kinder gerne lernen und dadurch ihre Persönlichkeit aufbauen. 

Ich habe gesehen, wie ein Junge einen anderen zu einem „Blinde Kuh“-Spiel mit 
der Augenbinde überreden wollte, aber der andere wollte lieber noch eine 
Rechenaufgabe in seinem Arbeitsheft machen. Daraufhin hat der erste sich 
dazugesetzt und auch gerechnet. 

Ich habe kein einziges Mal gesehen, dass Kinder ihre Leistung miteinander 
verglichen, Jedoch einige Male hat der Junge ganz vorne am Lehrerpult sitzend 
gesagt: „Ich kann das noch nicht,“ dies eher in einem Ton der Vorfreude auf die 
vor ihm liegenden Abenteuer als in einem der Resignation. 

Ich habe keine Bestrafung oder Tadelung von Kindern gesehen, keine Bewertung 
ihres Verhaltens, keine Belobigung ihrer Leistung. Ein Junge hat die Aufgabe, 
vorgegebenen Figuren achsengespiegelt abzubilden komplett missverstanden 
und mit viel Mühe und liebevoller Hingabe die Figuren einfach abgemalt. 
Ihre Reaktion: „Ist das nicht herrlich?“ hat ihn von Herzen gefreut. 

Ich habe nicht gesehen, dass bei Streitigkeiten die Täter gemaßregelt wurden. 
Ich habe gesehen, dass den Opfern beigestanden wurde. Ich habe gesehen, 
wie beide sich im Anschluss versöhnen konnten. 

Ich habe Ihre Müdigkeit gesehen. Wie muss das sein, über so lange Jahre 
hinweg so sehr angefeindet zu werden und im engen Umfeld auf so wenig 
Verständnis zu stoßen? Was treibt Sie weiter an? 

Einen der Schüler, den, der das rote Stirnband trug, habe ich beim Hinausgehen 
in die Pause gefragt: „ Ihr habt einen tollen Lehrer, weißt du das?“ „Ja,“ hat er gesagt. 

Heute bin ich den ersten Tag wieder in meiner Schule in Basel gewesen, in der Eccola. 
Der Unterschied zwischen den Schülern Ihrer Klasse, die so ungebrochen und voller 
Lebens- und Lernfreude sind, und denen in meiner Klasse, die so viel schlimme 
Schulerfahrungen gemacht haben, dass sie diese Freude fast ganz verloren haben, 
hat mich besonders geschmerzt. Doch selbst in aussichtslos scheinenden Situationen 
wird – selten – ein Hauch dieses Lernwillens spürbar, und dann weiß ich, warum ich 
von Müllheim nach Basel gefahren bin. 

Ich wünsche Ihnen ein lebendiges letztes Schuljahr. Es lohnt sich, selbst wenn 
die Kinder außerhalb ihres Unterrichts, zu Hause oder später ganz anderen 
Erfahrungen ausgesetzt sind. Irgend etwas bleibt ihnen doch, da bin ich mir sicher. 

Ihnen und den Kindern einen herzlichen Gruß, es hat mir sehr gefallen bei ihnen. 

Chr. M.     Oktober 2003

weiter